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Die Zeitensegler

Titel: Die Zeitensegler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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unvorstellbar, was du sagst«, fuhr Neferti fort. »Doch alles hier ist unvorstellbar. Deshalb glauben wir dir. Deshalb, und weil du einen ehrlichen Eindruck machst …«
    »… und weil es keinen Grund gibt, warum du uns anlügen solltest«, ergänzte Moon.
    »Moment mal!« Basrar baute sich vor Simon auf und wies mit dem Finger auf ihn: »Es sei denn, er ist doch ein Spion! Ich warne euch: Ihr solltet ihm nicht zu schnell euer Vertrauen schenken. Er hat seinen Schatten noch!«
    Neferti sprang auf und gab Basrar einen Klaps auf den Finger, worauf dieser beleidigt seine Hand zurückzog.
    »Er hat uns seine Geschichte erzählt, nun sollten wir ihm von uns erzählen.«
    Dankbar nickte Simon ihr zu. Würde er nun endlich, endlich Antworten erhalten?
    »Vielleicht sollten wir ganz vorn anfangen«, schlug er vor. »Wer von euch ist zuerst auf dieses Schiff gekommen?«
    Basrar hob eine Hand. »Ich«, erwiderte er knapp.
    »Und wie? Kannst du dich noch daran erinnern?«
    »Natürlich kann ich das«, erwiderte Basrar scharf. »Ich kann mich noch an jeden einzelnen Moment genau erinnern. Doch wie lange das Ganze zurückliegt, das kann man ja auf diesem verflixten Kahn nicht einschätzen!«
    »Erzähl uns alles«, bat Simon und so erzählte ihnen Basrar seine Geschichte.
    »Ich lebte mit meiner Familie auf dem Byrsa-Hügel in Karthago«, begann er, »wenige Straßen von der Tempelanlage des Eschmun entfernt. Es ging uns nicht gut. Wie alle Menschen in unserer Stadt litten wir seit drei Jahren unter der Belagerung durch die Römer. Es fehlte uns an allem. An allem, außer dem Willen durchzuhalten gegen diese feindliche Macht. Drei Jahre haben wir ihnen die Stirn geboten, doch dann kam Tag, der niemals enden sollte.«
    Er schwieg einen Moment und schaute mit düsterer Miene ins Feuer. Dann wandte er sich wieder Simon zu.
    »Du würdest sagen, es war im Jahr 146 vor Christus. Ich weiß von eurer Zeitrechnung. Moon hat es mir beigebracht. An einem Tag dieses Jahres war es den römischen Truppen schließlich doch gelungen, in unsere Stadt einzudringen. Mehr noch. Es gelang ihnen, unsere Stadt vollständig einzunehmen. Von allen Seiten kamen sie. Sie brannten ganze Stadtteile nieder und gingen so brutal vor, dass sie auch bald das Zentrum erreichten. Uns wurde schnell klar, dass die Stadt nicht mehr zu
    retten war. Also sind wir geflüchtet. Wir packten zusammen, was wir tragen konnten, und rannten auf die Straße, durch die Gassen Karthagos, als …« Basrar schnaufte. »… als er plötzlich vor uns stand.«
    »Der Schattengreifer?«, flüsterte Nin-Si und Basrar nickte kurz.
    Sie haben seine Geschichte auch noch nie gehört!, dachte Simon und sah Basrar verwundert an. Vielleicht hatten sie sich vorher noch nie über diese Dinge ausgetauscht.
    »Da stand er«, wiederholte Basrar. »In seinem schwarzen Mantel. Mitten auf dem Weg. Um ihn herum schreiende, flüchtende, verängstigte Menschen. Doch er stand nur dort. Stand dort und wartete auf meine Familie.«
    »Warum gerade auf euch?«, unterbrach ihn Simon.
    Doch Basrar verzog nur das Gesicht. »Ich kann es dir nicht sagen. Vielleicht ein Zufall. Vielleicht auch nicht. Er stand dort und erwartete uns. Und dann fing er mit meiner Mutter ein langes Gespräch an. Immer wieder zeigte er auf mich, den ältesten Sohn der Familie. Meine Mutter schüttelte den Kopf. Immer wieder. Tränen schossen ihr in die Augen. Doch der Schattengreifer redete auf sie ein. Er zeigte auf das Unglück um uns herum. Auf all die hilflosen Menschen. Und dann sah ich, wie meine Mutter nickte. Zögerlich zwar. Doch sie stimmte zu.
    Sie nahm mich an der Hand, drückte mich fest an sich und gab mir einen Kuss. Tränen flossen ihr in Strömen über das Gesicht. Dann gab sie mich frei. ‚Geh mit ihm‘, sagte sie noch. ‚Er wird dich retten und fortführen.‘ Ich schrie und bettelte. Ich wollte nicht von meiner Familie getrennt werden! Und vor allem wollte ich nicht mit diesem Mann, mit dieser Kreatur fortziehen müssen. Doch sie legte meine Hand in die kalte Klauedes Schattengreifers. Dann rannte sie davon. Mit meinen jüngeren Geschwistern. Ich habe sie alle an diesem Tag zum letzten Mal gesehen.«
    Basrar atmete schwer. Die Erinnerung an all das hatte ihn sehr mitgenommen. Er wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes über das Gesicht. »Das ist meine Geschichte«, sagte er zu Simon. »So bin ich auf den Seelensammler gelangt.«
    Der Karthager war so aufgewühlt, dass er am ganzen Körper zitterte. Dennoch

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