Die Zeitensegler
der Indianer, doch Simon unterbrach ihn: »Erlaubst du mir zuvor nur eine Frage?«
»Gern.«
»Nach allem, was ich von Indianern weiß, ist Moon ein sehr ungewöhnlicher Name für einen Indianerjungen. Ist das wirklich dein richtiger Name?«
Der Indianer lachte laut auf. »Du hast einen wachen Geist, Simon, und bist sehr aufmerksam. Du hast recht, ich trage eigentlich einen anderen Namen. Doch meine Lakota-Sprache unterscheidet sich zu sehr von der deinen. Eure Zungen könnendiese Wörter kaum formen. Nicht einmal hier, auf dem Seelensammler.« Er zeigte in die Runde. »Alle hier sind bisher an dem Versuch gescheitert, meinen Namen richtig auszusprechen. Deshalb sagen alle Moon zu mir. Die Bedeutung meines Namens in meiner Sprache lautet übersetzt: Der das Licht bringt und den Mond schlafen schickt. Denn ich wurde früh an einem Vollmondmorgen geboren und gab meinen ersten Schrei von mir, als gerade die Sonne über unserem Lager aufging.«
»Verrat mir doch bitte deinen vollen Namen«, bat Simon und der Indianer nickte. Er setzte sich aufrecht hin und sprach einige Worte, die für Simon wie ein einziges Gedicht, wie eine kurze Melodie klangen. Wunderschön. Doch Moon hatte recht: Simon hätte diesen Namen niemals wiederholen können.
Der Indianer lachte wieder. »Sag einfach Moon zu mir. Einverstanden?«
»Ja, einverstanden … Und, Moon?« Simon sah den Indianer auf einmal ernst an. »Ähnelt dein Schicksal auch denen der anderen hier?«
»Ja. Auch ich wurde vertrieben. Mitsamt meiner Familie. Bei uns war es der weiße Mann, der uns Land und Ehre stahl. Am Ufer des Wounded Knee wurden wir zusammengetrieben. Man hatte uns neues Land versprochen, wo wir in Ruhe weiterleben könnten. Zuvor jedoch mussten alle Indianer am Wounded Knee ihre Waffen abgeben. Alle meine Stammesbrüder wurden entwaffnet. Doch plötzlich fiel versehentlich ein Schuss und in diesem Moment eröffneten die Weißen das Feuer. Es begann ein einziges Sterben. Rund um mich und meine Familie. Sogar unseren Häuptling Spotted Elk haben sie getötet. Und wir hatten keine Möglichkeit, uns zu wehren.
Dann stand auf einmal dieser Mann vor uns. Mitten im Kriegsgeschrei. Er kam aus dem Nichts, und er bot meiner Familie an, mich zu retten. Nun, ihr könnt euch denken, was danach geschah.«
Neferti liefen Tränen über die Wangen. Sie war gerührt und aufgewühlt zugleich. »Noch nie haben wir uns gegenseitig unsere Vergangenheit erzählt«, sagte sie. »Ich wusste gar nicht, welche schrecklichen Schicksale ihr erlitten habt. Ich dachte immer, ich sei die Einzige, die …«
Sie brach ab und sah die anderen hilflos an.
»Ich weiß«, sagte Basrar mit ungewohnt sanfter Stimme. »Das Gleiche dachte ich auch immer. Ich war dabei, als der Schattengreifer jeden von euch zu sich genommen hat. Doch ich war stets nur in diesem einen Moment dabei. Ich wusste gar nicht, was ihr für schreckliche Dinge erlebt habt. Danke, Simon, das haben wir dir und deinen tausend Fragen zu verdanken!«
»Aber wir haben ja noch gar nicht Nin-Sis Geschichte gehört«, warf Moon ein. Er legte eine Hand auf die Schulter des Mädchens. »Erzähl du uns auch, was dir passiert ist!«
Nin-Si senkte schnell den Kopf. Sie schwieg.
Basrar setzte sich zu Nin-Si und fragte: »Möchtest du es uns erzählen?«
Schnell schüttelte Nin-Si den Kopf.
»Aber …«
»Lass sie«, fuhr Moon dazwischen. »Wenn sie es nicht erzählen möchte, sollten wir ihren Wunsch respektieren.«
Basrar jedoch gab noch immer nicht nach. »Es tut gut zu sprechen, Nin-Si.«
Aber als das Mädchen weiter nur schweigend den Kopf schüttelte, ließ Basrar endlich von ihr ab.
»Später vielleicht« versuchte er, Nin-Si zu trösten, doch wieder schüttelte sie nur verneinend den Kopf.
Simon blickte sprachlos in die Runde.
Seine Gedanken überschlugen sich.
Katastrophen, dachte er. Allen Entführungen waren Katastrophen vorausgegangen! Das konnte doch kein Zufall sein.
Er blickte sich bei den Gefährten um. Diese Jungen und Mädchen hier waren alle an einem Unglückstag durch den Schattengreifer gerettet und auf dieses Schiff gebracht worden. Ganz sicher auch Nin-Si.
Simon hatte keinen Zweifel daran, dass es ihr sehr ähnlich ergangen war.
Sein Blick fiel auf den fremden Jungen, der schlafend beim Feuer lag. Was auch immer mit ihm passiert sein mochte – Simon hätte darauf gewettet, dass auch dieser Junge dem Schattengreifer in einem Moment größter Not begegnet war.
Es ergab sich ein
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