Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
den Boden zu ebnen für die, welche mit dem Wort des Herrn die falschen Götter, diese Dämonen, in die Hölle vertreiben! Und widersetzen sich die Heiden, so ist es eure Pflicht, diese Gottlosen zu töten!«
Seine Stimme überschlug sich grell: »Tötet sie! Tötet sie alle, denn jeder Sachse ist ein Heide, der euch hasst, der euren König hasst, der Jesus Christus unseren Herrn hasst! Tötet diese Verdammten, Gott ist mit euch!«
»Mir wird schlecht«, murmelte Franklin angewidert. »Immer dieselben Sprüche … die Menschen sind einfach zu dämlich.«
Er trieb sein Pferd an und beeilte sich gemeinsam mit Andreas, Bardowick schnellstens hinter sich zu lassen.
Schon bald näherten sie sich der Elbe durch eine nur spärlich von Bäumen bestandene Landschaft karger, von der Sommerhitze gelblich ausgedörrter Wiesen. Unterwegs dachte Captain Vincent über das nach, was er mittlerweile über das Abotritenreich erfahren hatte. Der Name dieses slawischen Stammes war ihm nicht völlig unbekannt, er erinnerte sich dunkel, von den Abotriten als Verbündete Karls des Großen gelesen zu haben, deren Aufgabe es war, die Nordgrenze des Frankenreiches gegen andere Slawen und Skandinavier zu verteidigen. Zu einer Staatsbildung war es aber nie gekommen, sie waren einer von vielen kleinen Slawenstämmen entlang der Ostseeküste geblieben. Ganz eindeutig war die Existenz ihres Königreiches in einem Nordeuropa, das sich ansonsten kaum von dem unterschied, das Vincent vertraut war, eine Folge des Fortbestehens Westroms. Seit gut hundert Jahren verarbeiteten suebische Künstler in Spanien Bernstein in großen Mengen mit unnachahmlichem Geschick zu filigranem Schmuck. Diese Schmuckstücke waren selbst in weit entfernten Ländern begehrt, wie etwa im Inneren Afrikas oder in Indien. Sogar Händler aus dem sonst völlig abgeschotteten Sina nahmen die weite Seereise zu den Häfen des Roten Meeres in Kauf, um die kostbaren Bernsteinarbeiten erwerben zu können. Das Rohmaterial kauften die Römer von den Abotriten, die den Bernstein ihrerseits bei den Völkern des Baltikums bezogen und diese Handelsbeziehungen zu einem eifersüchtig gehüteten Monopol ausgebaut hatten, neidvoll betrachtet von ihren dänischen Nachbarn im Norden. Römisches Geld hatte die Häuptlinge der Abotriten in wenigen Generationen zu den mächtigsten unter den Slawenfürsten nördlich der Elbe werden lassen; sie hatten ein kleines, aber wohlhabendes Königreich begründet. Für Captain Vincent stand damit fest, dass die immer noch kursierende Theorie von der Christianisierung Osteuropas als zwingende Vorbedingung für die Entstehung slawischer Staatswesen damit null und nichtig war.
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, denn vor den beiden Reitern war eine flache Hügelkuppe mit einer knorrigen alten Eiche aufgetaucht. Von ihren mächtigen Ästen schienen halbgefüllte Säcke schlaff herabzuhängen, und zwei Soldaten standen im Schatten der großen Baumkrone.
»Verdammt, wenn das …« sagte Franklin, aber er brach mitten im Satz ab. Als sie näher kamen, erkannte Andreas, was Franklin hatte verstummen lassen: An den Ästen der Eiche hingen Dutzende nackter Leichen.
Sie zügelten ihre Pferde und starrten fassungslos auf die Körper, von denen der schwere, süßliche Geruch der Verwesung ausging. Es waren Männer und Frauen jeden Alters, viele von ihnen bei Weitem zu jung oder alt, um sich den Franken als Aufständische entgegengestellt zu haben. Manche der Leichen zeigten bereits deutlich beginnende Fäulnis, andere trugen die Spuren schwerster Folter und schlimmster Misshandlungen. Sie waren nicht erhängt worden. Man hatte ihnen die Schädel eingeschlagen, sie zu Tode gepeitscht, sie verstümmelt und dann verbluten lassen. Viele der Leiber waren nur noch die deformierten Ruinen menschlicher Körper.
»Goya«, murmelte Franklin bleich.
Andreas hörte ihn nicht. Seine Augen klebten erstarrt an dem Szenario des Grauens.
Einer der beiden Soldaten trat aus dem Schatten heraus. »Euch gefällt der Anblick wohl nicht, was?«
»Was haben diese Leute getan?«, fragte Franklin mit zuschwellendem Hals.
»Getan? Sie waren Sachsen, reicht das etwa nicht? Die stecken alle unter einer Decke, diese tollwütigen Hunde.«
»Warum habt ihr sie umgebracht?«, beharrte Franklin, jetzt mit unverhülltem Ekel.
»Warum? Sie überfallen bei Nacht unsere Vorposten und schlachten heimtückisch unsere Leute ab! Und wenn
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