Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
den Griff geklemmt. Böses ahnend, nahm er den Zettel auf und las die handschriftlichen Zeilen:
Ich habe meine Pflichten verletzt, indem ich mich in meinem Handeln von persönlichen Abneigungen leiten ließ. Dadurch habe ich nicht nur der Armee Schande bereitet, sondern auch das Imperium in unermessliche Gefahr gebracht. Es war mir unmöglich, mit dieser Last mein Leben fortzuführen. Es war meine Absicht, mich in mein Schwert zu stürzen, wie es in früheren Zeiten für die geschlagenen Feldherrn Roms Brauch war; doch ich spüre, dass ich dieses soldatischen Todes unwürdig bin, weshalb ich einen anderen Weg wähle.
Vitalianus Racholf Siegericus
Marcus fühlte, dass ihn dieses Schreiben und der unerwartete Freitod des Generals hätten berühren müssen. Doch zu seinem eigenen Unbehagen ertappte er sich dabei, das merkwürdige Pathos dieses Abschiedsbriefes und die Umstände von Siegericus’ Ableben eher tragikomisch zu finden. Kopfschüttelnd legte er das Papier auf den Boden und nahm das Schwert mit dem kunstvoll auf der Klinge eingravierten imperialen Adler auf.
»Was ist passiert?«, rief ein herbeieilender Schiffsoffizier. »Ich habe ein Geräusch gehört, als wäre jemand über Bord gegangen.«
Marcus nickte. »General Siegericus. Er war … nun, lest seinen Brief.« Er deutete auf den kleinen Zettel, der gerade in diesem Moment von einem leichten Windhauch erfasst wurde und emporwirbelte. Schnell griff er nach dem Papier und bekam es auch zu fassen. Dann aber stutzte er. Marcus hob den Kopf und blickte nach oben.
Und er sah, wie ein Windstoß in das Segel fuhr und es mit einem kräftigen Knall aufblähte.
48
Portus Romae
Im Kriegshafen
Seitdem drei Tage zuvor eine Innuetormeldung aus Regium in Rom eingetroffen war, der zufolge man achtzehn Kriegsgaleeren mit Kurs nach Norden gesichtet hatte, waren Gerüchte in der Stadt umgegangen. Es hieß, es handle sich um die Vorhut der heimkehrenden weströmischen Flotte und der Kaiser sei an Bord eines der Schiffe. Doch nachdem ein Kurierboot des Verbands in den Kriegshafen von Misenum eingelaufen war, hatte sich herausgestellt, dass es sich um ein Geschwader der oströmischen Flotte handelte. Die Hoffnungen der Römer auf ein baldiges Ende der fränkischen Bedrohung zerstoben so schnell wieder, wie sie aufgekeimt waren.
Hinzu kam, dass die Unterbrechung der Wasserleitung nun schon spürbare Folgen hatte. Die Zisternen der Thermen waren restlos geleert, das wenige aus den übrigen Aquädukten kommende Wasser wurde unter strenger Aufsicht zugeteilt. Aller Wein, aber auch alle Früchte, aus denen sich Saft gewinnen ließ, waren auf Befehl der Kaiserin beschlagnahmt worden und wurden ebenfalls in knapp bemessenen Rationen ausgegeben. Und man hatte auch bereits mehrere Händler überführt, die ihre Vorräte unterschlagen hatten und sie nun zu Wucherpreisen zu verkaufen versuchten. Die Strafen hierfür waren drastisch, jeder sollte vor Augen geführt bekommen, welche Folgen es hatte, die Not seiner Mitmenschen selbstsüchtig ausnutzen zu wollen.
Aber weitaus schwerer als dies alles wog der Ausfall der Kanalisation. Zwar waren die Nächte jetzt, zu Beginn des Septembers, schon länger und kühler geworden, doch während der Tage kehrte die Wärme rasch zurück und sorgte dafür, dass übel riechende Dünste aus den Abwasserkanälen aufstiegen. Der Gestank der Abfälle und Fäkalien wurde mit jedem Tag abstoßender und lag als ekelerregende Wolke über Rom. Noch hatten keine Krankheiten um sich gegriffen, doch es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Massen von gärenden Exkrementen, die sich in den Kanälen unter den Straßen stauten, ihren Tribut fordern würden. Wein, Saft, ja selbst Wasser konnte man – wenn auch in viel zu geringen Mengen – aus dem Umland herbeischaffen; doch es gab kein Mittel, die Ausscheidungen zu beseitigen.
Nur ein einziger fahler Hoffnungsschimmer blieb den Bewohnern Roms, nachdem sich gezeigt hatte, dass die achtzehn Schiffe nicht Teil der vor Monaten nach Osten ausgelaufenen Flotte waren. Die Langobarden hatten Wort gehalten und mit großer Schnelligkeit ein Heer in Marsch gesetzt, mit über fünfzehntausend Mann sogar stärker als erwartet. In Pannonien hatte es sich mit vier eilig versammelten turmae ostgotischer auxiliarii vereinigt, und gemeinsam bewegten sich diese fünfundzwanzigtausend Soldaten entlang der adriatischen Küste südwärts, so rasch es nur möglich war. Sie folgten
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