Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
quälende Minuten, und mehrmals glaubte er, menschliche Silhouetten im Mondlicht zu erkennen. Und jedes Mal, wenn er einsehen musste, sich geirrt zu haben, sank seine Zuversicht weiter.
»Da!«, rief ein in der Nähe stehender Legionär plötzlich aus. Andreas zuckte zusammen, blickte wieder angestrengt in die Nacht. Und tatsächlich, diesmal war es keine Täuschung. Sechs Schatten lösten sich aus dem verschwommenen Halblicht und näherten sich der Brücke.
Sie waren vollzählig!
Andreas spürte, wie eine gewaltige Last von ihm abfiel. Er machte sich auf, Franklin entgegenzugehen. Und nun erst fühlte er, dass seine Beine weich waren und beinahe ihren Dienst versagten.
Franklin kam als Erster über die Brücke und rief zufrieden: »Na, wie hat dir unser kleines Feuerwerk gefallen? Mann, das war ein hartes Stück Arbeit … aber der Erfolg war ja wohl spektakulär sichtbar, nicht? Hey, zehnmal besser als die tausendste Wiederholung der Kanonen von Navarone im Kabelfernsehen!«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, entgegnete Andreas, »aber ich bin froh, dass du wieder zurück bist.«
»Und dazu noch in einem Stück!«, erwiderte Franklin laut lachend.
Der Feldchirurg verknotete den Verband an Wibodus’ blutverschmiertem Unterarm. Die scharfe Kante eines Stückes Metall, Überrest eines von der Wucht der Explosion durch die Luft geschleuderten Helmes, hatte das Fleisch aufgerissen. Die Ärzte hatten protestiert, doch der General hatte ihnen unter Androhung der Peitsche befohlen, sich erst um die hässlich klaffende Wunde zu kümmern, wenn alle Schwerverletzten versorgt waren. Wibodus ließ die Bemühungen des Chirurgen stumm über sich ergehen.
Er saß unter freiem Himmel auf einem Faltstuhl und blickte auf das Bild der Verwüstung. Im harten, mitleidlosen Licht der Morgendämmerung bot sich ihm ein Szenario des Grauens. Überall lagen Tote, Sterbende und Verwundete. Männer, denen die Explosion Arme oder Beine abgerissen hatte. Deren Haut bis auf das rohe Fleisch verbrannt war. Die vor Schmerzen schrien und für die niemand etwas tun konnte. Hilflose Ärzte liefen zwischen den Männern umher, die man in langen Reihen auf Pferdedecken auf den Boden gelegt hatte; die Luft war erfüllt vom grellen Kreischen derer, denen die Chirurgen zertrümmerte Gliedmaßen ohne jede Betäubung mit Sägen abtrennen mussten, und über allem lag ein Nebel ätzenden Pulvergestanks. Rundherum erhob sich ein bizarrer Wald geborstener Zeltstangen, von denen die Fetzen der Stoffbahnen schlaff und gestaltlos herabhingen.
Oberst Waldo trat an den General heran, ein eilig beschriebenes Papier in der Hand. Sein Gesicht war blass, als sei alles Leben daraus entwichen.
»Die ersten Verlustlisten, General«, sagte er tonlos. »Hundertzweiunddreißig Tote, siebzig weitere werden den Tag nicht überleben. Zweihundertvierzig Schwerverletzte, hundertzwölf weitere unserer Männer sind weniger schlimm verwundet.«
Wibodus sah den Oberst nicht an. Er starrte regungslos auf die Reihen der Verletzten und fragte leise: »Und mein Stab?«
Der Oberst schluckte hörbar.
»General … von denen, die in Eurem Zelt waren, sind fast alle durch umherfliegende Gegenstände verletzt worden. Vier Eurer Offiziere sind tot, darunter General Fulrad und Herzog Radolf. Und noch etwas, General. Man fand zwei unserer Wachposten mit durchtrennten Kehlen.«
Wibodus’ Gesichtszüge waren wie versteinert, und nur die Augen, die zu brennen schienen, ließen erahnen, dass unbeschreiblicher Hass in ihm aufwallte.
»Das waren keine Menschen«, sagte er mit tödlicher Kälte, »das ist das Werk von Tieren. Und wie Tiere sollen die Römer sterben, ich werde sie dafür büßen lassen. Ich scheiße auf den Befehl des Königs, habt Ihr das gehört, Oberst? Wenn wir in Rom sind, werde ich sie töten lassen. Für jeden Franken, den sie ermordet oder verstümmelt haben, werde ich hundert Römern die Köpfe abschlagen lassen. Tiere sind sie, und sie sollen wie Tiere geschlachtet werden!«
49
Rom
Auf dem Palatin
»Dies sind die Bedingungen meines Herrn, des Generals Wibodus«, verkündete der junge fränkische Offizier und streckte arrogant das bartlose Kinn vor.
Die um den großen Tisch sitzenden Repräsentanten des Imperiums starrten den Franken in ungläubigem, stummem Zorn an.
Krista Scorpia, die ihm direkt gegenüber am Kopfende des Tisches saß, legte die Hände zusammen und fragte dann, mühsam die Beherrschung wahrend: »Und
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