Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
wirklich folgte und sein Schwert wieder in die Scheide zurückführte, während er durch die Tür in das Innere des Hauses trat. Sie schien ihm eine Art natürlicher Autorität zu besitzen, der zu widerstehen ein unsinniges Vorhaben war.
Nun befand er sich im Hauptraum des kleinen Hauses, der ihm auf den ersten Blick in keiner Weise ungewöhnlich erschien. In einem aus Feldsteinen aufgemauerten Kamin flackerte ein knackendes Feuer unter einem kleinen, dampfenden Kupferkessel, den Boden aus dunklen Holzbohlen bedeckten einige einfache, aber saubere Teppiche. In einer Ecke stand ein mit einem weißen Tuch gedeckter Tisch, einige Regale an den sorgfältig ausgeführten Fachwerkwänden trugen verschlossene Vorratskrüge. Eine geschlossene Tür führte wohl zu einem Nebenraum, und vor dem Kamin warteten zwei Stühle mit hohen Lehnen. Die Fenster waren klein, aber verglast, und das deutete auf einen bescheidenen Wohlstand hin, denn bei den gewöhnlichen fränkischen Bauernhütten hatte Andreas bislang kein Fensterglas gesehen.
»Es wurde Zeit«, sagte die Frau und setzte sich auf einen der Stühle am Feuer. »Komm, du musst doch erschöpft sein.« Sie deutete auf den anderen Stuhl, und Andreas fand keine Gelegenheit nachzufragen, wofür es eigentlich Zeit wurde. Kaum hatte er das Schwert vom Gürtel gelöst, es an die Wand gelehnt und dann Platz genommen, da sprach sie schon weiter. »Und bitte, mach den Mund zu. Du wirst doch schon mal eine Frau gesehen haben, oder?«
Die spöttisch hochgezogene Augenbraue entging Andreas nicht, aber er war nicht in der Stimmung zu einem Austausch geistvoller Sarkasmen. Stattdessen antwortete er: »Ich bitte um Verzeihung. Ich bin Andreas Sigurdius, ich hatte mich in diesen Wäldern verirrt und konnte in der Dunkelheit den Weg nicht finden. Da habe ich Euer Haus gesehen …«
Er betrachtete sie jetzt genauer und gab sich alle Mühe, dass sie es nicht bemerkte. Nun fiel ihm auf, dass sie nicht etwa hübsch war, sondern unerhört schön. Die Haare waren zu einem langen Zopf geflochten, der ihr weit auf den Rücken hinunterhing, und ein schlichtes, bräunliches Kleid, in der Taille von einem bestickten Gürtel mit Silberschnalle gerafft, betonte ihre Größe noch zusätzlich und deutete die Form ihres Körpers nur an. Ohne dass er es wollte, musste er plötzlich an Claudia denken.
»Ich weiß«, sagte sie, »und du bist willkommen. Du brauchst ein wenig Ruhe nach der langen Zeit der Unrast.«
Was soll das?, dachte Andreas unschlüssig, Warum rede ich sie in der Höflichkeitsform an? Warum duzt sie mich? Oh, mein Gott – diese Augen … als ob sie direkt durch mich hindurchsehen könnte … nein, in mich hinein … Was redet sie da bloß? Woher kann sie wissen, dass ich seit Wochen keine Ruhe gefunden habe?
»Ich bin Gisela«, fuhr sie lächelnd fort, »und du siehst aus, als könntest du eine Stärkung vertragen.«
Andreas wollte dankend ablehnen, aber sie hatte bereits eine Kelle dampfender Flüssigkeit aus dem Kessel in einen dickwandigen Tonkrug gefüllt und drückte ihn dem Ostgoten auf eine Art, die keinen Widerspruch zuließ, in die Hand.
Er nahm misstrauisch einen Schluck von dem grünbraunen Gebräu, stellte dann aber fest, dass es sich um ein recht wohlschmeckendes Getränk handelte. Kräuter und Honig ließen sich herausschmecken, aber ansonsten blieb seine Zusammensetzung ein Geheimnis, dem die Zunge nicht auf die Spur kommen konnte.
Nachdem er den Krug zu Hälfte geleert hatte, war Andreas’ Laune bereits deutlich besser, und er versuchte, mit Gisela eine Unterhaltung zu beginnen. »Ich danke Euch sehr. Ihr seid sehr liebenswürdig, einem Fremden so großzügig Unterkunft zu gewähren.« Andreas bemerkte, dass sie bei dem Wort Fremder seltsam hintergründig gelächelt hatte, aber was immer es auch bedeuten sollte, er ignorierte es und fuhr fort. »Ihr scheint, vergebt mir, alleine hier zu leben. War es nicht gefährlich, mir die Tür zu öffnen? Hätte ich nicht böse Absichten haben können?«
»Gefährlich schon«, antwortete Gisela, »aber kaum für mich. Wenn du etwas Übles vorgehabt hättest, wärst du jetzt nicht mehr am Leben.«
Andreas zuckte ein wenig zusammen. Seine Gastgeberin hatte das in vollem Ernst gesagt, wenn auch in einem fröhlichen Tonfall, der ihm auf makabre Art deplatziert erschien. Und er hatte das unangenehme Gefühl, dieser Frau auf eine schattenhafte, nicht greifbare Art ausgeliefert zu sein. Er ließ nervös den Blick schweifen, und
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