Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
Polizei ruft?«
»Du meine Güte! Dann fälle ich den verdammten Baum halt!«, fauche ich gereizt. Jetzt, da Kay es ausgesprochen hat, scheint mir mein Vorhaben selbst mehr als abwegig.
»Sehr gut, Alison. Das wäre eine Möglichkeit. Aber du solltest immer darauf bedacht sein, nur das Minimum zu verändern. Vielleicht hat dieser Baum mehr Tragweite, als du denkst.«
»Ja, vielleicht entsteht auf ihm eine neue Insektenart, deren DNA in fünftausend Jahren für einen überlebenswichtigen Impfstoff sorgt.«
Kay legt seine Hand auf meine Schulter und ich verlangsame meine wütenden Schritte, als er nicht loslässt, drehe ich mich um und sehe ihn an. Das Licht der Frühlingssonne durchbricht in grellen Bündeln das dichte Blätterwerk und wirft einen glänzenden Strahl über Kays Haar, was ihn wie einen Heiligen wirken lässt. Er sieht mir ohne Ärgernis in die Augen, vielmehr betrachtet er mich nachdenklich, wobei seine Hand nach wie vor auf meiner Schulter ruht. Die Ärmel seines Khakihemdes hat er über die Ellenbogen hochgekrempelt und obwohl er keinen Druck ausübt, treten die Muskeln seines Unterarms unter der gebräunten Haut hervor. Die Zeit scheint plötzlich stehen zu bleiben, nur ein leises Plätschern verrät mir, dass sie es nicht wirklich tut.
»Deine Lippen sind spröde, sie haben schon Risse, und deine Haut wirkt gespannt, dein Mund wird zu trocken sein«, stellt Kay fest und dreht mich unvermittelt so, dass ich auf eine Quelle blicke, der Ursprung des Plätscherns. »Das Wasser ist, ohne dass wir es abkochen müssen, trinkbar, aber sehr kalt. Trink langsam und so viel du kannst.«
Er hat Recht. Ich habe tatsächlich Durst und obgleich mein Magen wütend nach Essen knurrt, ist der Wunsch nach Flüssigkeit doch größer. Das Wasser quillt zwischen einigen Steinen heraus, verliert sich in einem Rinnsal, das nur zwei Schritte entfernt im Waldboden versickert, so dass ich mich hinlegen muss, um das kalte Nass mit meinen Händen aufzufangen.
»Eine Coke wäre mir jetzt deutlich lieber.« Mit geöffneten Händen schöpfe ich Schluck für Schluck in meinen Mund.
»Die Auswirkungen wären nicht kalkulierbar«, entgegnet Kay. »Du würdest unweigerlich Menschen begegnen und …«
»Du meine Güte! Ich rede doch nur von einer Coke, das wird schon nicht den dritten Weltkrieg auslösen!« Langsam nervt Kay! Ungelenk rolle ich mich zur Seite, mitten durch das Rinnsal und setze mich auf. Toll! Jetzt ist auch noch mein Shirt nass und dreckig.
Kay grinst nur, pflückt einige Blätter des Farns ab, der überall wuchert, und beginnt geschickt sie miteinander zu verflechten, während er spricht. »Du denkst zu linear. Es gibt längst einen dritten Weltkrieg und auch einen vierten.«
»Das hätte ich wohl mitbekommen.«
»Es gibt eine Alison Hill, die …«
»Die in einem behaglichen Holzhaus in Mill Valley lebt? Oder in einem baufälligen Schloss in Frankreich, in einem Loft in Sydney oder unter einer Autobahnbrücke am Stadtrand von New York?«, wiederhole ich Wum Randys Worte und tippe mir an die Stirn.
»Das wollte ich zwar nicht sagen, aber genau so ist es. Jedoch sind dies keine Alternativen, Alison. Es passiert nicht entweder oder. Sobald du dich nicht mehr auf deiner Zeitlinie befindest, also dich in ihr bewegst, biegst du nicht rechts oder links ab, du springst zwischen den bereits vorhandenen Realitäten. Mit anderen Worten, eine Coladose, an die du – wie auch immer – kommst, könnte dich in eine Realität katapultieren, in der der dritte Weltkrieg herrscht, oder sogar deine eigene Existenz auslöschen.«
Ich versuche zu begreifen, was Kay eben gesagt hat. Wo sollte denn eine andere Version von mir sein, die in einem Loft in Sydney lebt oder unter einer Brücke in New York? Wie viele Alisons soll es denn bitte geben?
»Soll das bedeuten, dass überall auf der Welt Doppelgänger von mir rumlaufen?«
»In gewisser Weise …« Mein Scout rollt die geflochtenen Blätter zu einem Trichter, um das Quellwasser in die zerknautschte Wasserflasche zu leiten, bevor er selbst trinkt. »Nur dass es nicht lediglich eine Welt gibt, sondern unfassbar viele. Nimm es zunächst einfach als gegeben an, Alison, und versuch nicht es zu verstehen. Seit ich …« Er stockt. »Ich beschäftige mich jetzt über zwei Jahre mit Zeit und Raum und habe manchmal das Gefühl, dass ich es nie ganz verstehen werde.«
Kay schraubt den Deckel auf die Flasche und bedeutet mir mit vorgestrecktem Arm weiterzugehen.
Jetzt, da
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