Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
Sekunden, 37 Sekunden, 36 Sekunden.«
»Das ist eigenartig«, murmelt Kay mit gefurchter Stirn. »Sie geben uns eine Menge Zeit, du kennst den Ort, an dem wir uns befinden und offensichtlich sind wir nicht sehr weit in deine Vergangenheit portiert worden.«
»Aber das ist gut, oder?«
»Es ist zu einfach.« Kay sieht sich wachsam um. »Okay, Alison. Wir sollten trotzdem keine Zeit verschwenden. Ich schlage vor, wir finden heraus, welches Datum wir haben, währenddessen erzählst du mir, was du über die Gegend weißt.«
»Sie haben dir nichts gesagt?«
»Sie haben mich direkt auf die Bühne geholt, als ich …«
»Als du einem Mann die Kehle durchgeschnitten hast? Das war nicht dein Ernst, oder?« Prüfend sehe ich in Kays Gesicht.
»Ich will nicht darüber reden.« Wie ein Stoppschild hält er mir seine blutbeschmierte Hand vor das Gesicht. Und dann begreife ich.
»Das ist nicht dein Blut, oder?«
»Ich meine es ernst, Alison. Lass uns das hinter uns bringen und mit Glück sehen wir uns nie wieder. Der Mann auf der Mauer beobachtet uns die ganze Zeit und wir sollten tunlichst keine Aufmerksamkeit erregen. Komm! Jetzt!«
Bevor ich noch etwas sagen kann, bugsiert mich Kay in Richtung der Brücke.
Sein Druck auf meiner Schulter lässt keinen Widerspruch zu. Wie gern hätte ich seine Hand einen Moment länger gespürt, aber ich gebe ihm Recht. Ich muss mich auf das Wesentliche konzentrieren: auf Jeremy, auf Tante Rose, auf den Apfelbaum, und während ich versuche mit Kay Schritt zu halten, erzähle ich ihm von der alten Mühle, Mum, Dad, Jeremy und den Mammutbäumen, durch die sich der Weg zu meinem Elternhaus schlängelt.
Als wir die Brücke erreichen, liest Kay eine zerknautschte Plastikflasche auf und ich halte inne, um einen Blick auf den Marker zu werfen. Uns bleiben noch gut zwölf Stunden und fünfundvierzig Minuten. Wenn wir uns beeilen, könnte ich in zwanzig Minuten bei Mum und Dad sein, ihnen alles erklären. Nur dies kann und darf meine Gedanken beherrschen. Nichts anderes.
Aber eine Seite von mir wünscht sich plötzlich und auf irrsinnige Weise zu scheitern, um mehr als diese … ich starre auf den Countdown … diese zwölf Stunden und vierundvierzig Minuten und achtundzwanzig Sekunden mit ihm zu haben.
Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass mich jemand auf diese Weise beschäftigt. Ja klar, es gab ein paar nichtssagende Küsse während des letzten Sommers, den ich mit Carissa und einigen Leuten aus der Highschool am Strand verbracht habe, aber das auch nur, weil sich meine Freundin darüber amüsiert hat, dass ich mich angeblich nicht für das männliche Geschlecht interessiere. Aber so ist es nicht. Es gab einfach niemanden, der interessant genug gewesen wäre, um mich in ihn zu verlieben. Den außergewöhnlichsten Mann, den ich je in Mill Valley kennengelernt habe, war Mr Givens, der Leiter der städtischen Bibliothek. Immer wenn ich ihm ein Buch zurückbrachte, dessen abenteuerliche Geschichten ich an einen Baumstamm gelehnt verschlungen hatte, nahm er sich die Zeit, mir von echten Abenteuern seines Lebens zu berichten: Mr Givens war im Vietnamkrieg, fand seine große Liebe während der Friedensbewegung und hat zusammen mit ihr den Kilimandscharo bestiegen, er lebte zeitweise auf einer Farm in Tansania und zog nach dem Tod seiner Frau zurück in seine Heimatstadt Mill Valley. Mr Givens war dreiundneunzig, als er letztes Jahr starb.
Manchmal war ich überzeugt, es wäre mir nicht bestimmt mich zu verlieben, aber als ich Mr Givens nach einem Nachmittag mit »Romeo und Julia« erklärte, Liebe sei nur etwas für romantische Bücher, lächelte er mich durch seine runzeligen Augen an und meinte: »Jede Liebe hat ihre Zeit und jede Zeit ihre Liebe. Die Zeit von Romeo und Julia ist längst vergangen, die Zeit für Alison Hill zu lieben, wird erst noch kommen.«
Alison Hill bleiben noch zwölf Stunden und vierzig Minuten, um sich NICHT zu verlieben, verflucht! Doch die Vorstellung, Kay danach nie wiederzusehen, finde ich unerträglich. Ich fühle mich geborgen in seiner Nähe, so als würden wir uns schon ewig kennen. Es ist die Souveränität, die er ausstrahlt, seine kontrollierten Bewegungen, seine Gewissheit in den Dingen, die er sagt und tut, die mich verwirrt, wie jetzt in diesem Moment.
Während wir auf der Brücke stehen, fixiert Kay unablässig seine Umgebung. Er achtet darauf, niemanden anzusehen, hebt einen Kronkorken auf, betrachtet ihn, wirft ihn wieder weg und greift aus
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