Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
Schwester …«
»Ist schon da«, flötet meine Tante und biegt mit einer großen Schachtel in der Hand um das Haus. »Alles Gute zum Zehnjährigen, meine Lieben! Ich habe euch einen Apfelkuchen gebacken, nach unserem Familienrezept mit Zimt und Walnussstückchen. Herold hat die Äpfel heute Morgen noch schnell gepflückt. Die besten der ganzen Plantage! Ich soll euch herzlich grüßen und ausrichten, dass ihr endlich selbst ein paar Bäume pflanzen sollt. Nebenbei bemerkt … Susan, wann sägt dein Mann endlich dieses traurige Exemplar ab?«
Meine Mutter verdreht die Augen, nimmt Tante Rose die Schachtel aus der Hand und öffnet den Deckel. »Oh Rose, wie lieb von dir, aber leider haben wir keine Zeit mehr, ihn zu genießen. Wir sind ohnehin schon spät dran. Robert ist noch nicht mal umgezogen und jetzt fängt er wieder mit diesem Omen an …«
»Heute ist der 30. September 2002«, beharrt Dad, »und dort steht, ich soll genau heute Apple kaufen. Ihr könnt mich ruhig verrückt nennen, aber das ist ein Zeichen! Vielleicht verlieren wir ein paar Tausend Dollar, aber vielleicht machen wir auch ein kleines Vermögen. Nichts davon wird unser Glück zerstören«, sagt Dad und klopft sich die Hose ab.
»Hauptsache, du ziehst dich um!«, erwidert meine Mutter im Gehen und eilt, gefolgt von Tante Rose, um das Haus. »Er ist stur wie ein Esel.«
»Das sind alle Hills!« Tante Rose lacht. »Wo ist überhaupt Alison?«
»Sie malt ein Bild in ihrem Zimmer … Esst ihr doch den Apfelkuchen. Sie wird sich freuen!«, höre ich Mum noch sagen, dann bewegen sich die Zahlen auf dem Kalender.
Wum nutzt die Pause und tritt vor die verschwimmende Holografie. »Fünfzehn Jahre hat deine Botschaft überdauert, zumindest Teile davon und sie haben eine aberwitzige Wendung in deinem Leben bewirkt, die so nie vorgesehen war«, erklärt Wum und zaubert mit einem Wisch seiner Hand eine Großaufnahme des verwitterten Stamms in die Luft …
Die Borke ist augenscheinlich an einigen Stellen abgeplatzt, die Wurzeln liegen unter Erde vergraben, nur wenige Buchstaben haben die Jahre überdauert und selbst sie heben sich kaum von der silbergrauen Rinde ab. »30 Sept 2002, kauf Ap el«, ist alles, was von meiner Botschaft übrig geblieben ist.
»Dein Vater erbte im Sommer 1999 ein kleines Vermögen von deinem Großvater Stuart …«
»Ich erinnere mich, das war das Jahr, als uns Dad stolz seinen neuen senfgelben Pick-up präsentiert hat …«
»Davon kauftet ihr einen Pick-up«, sagt Wum wie zur Bestätigung und fügt erklärend hinzu, »ein mineralölbetriebenes Fortbewegungsmittel, das von Hand gesteuert werden musste … Von dem verbliebenen Geld aber erwarb dein Vater an seinem zehnten Hochzeitstag annähernd dreitausend Aktien der Firma Apple, die … ja, man könnte sagen, die Vorläufer unserer Marker herstellten, und - er verbrachte eine ungestörte Hochzeitsnacht mit deiner Mutter. Jeremy wurde neun Monate später geboren, die dir bekannte Realität, liebe Alison, verlief zumindest bis zum Dezember des Jahres 2010 beinahe so, wie du sie in Erinnerung hast. Inzwischen verdreihundertfachte sich jedoch der Wert dieser irrwitzigen Geldanlage und als deine Eltern beschlossen, die Aktien zu verkaufen, konnten sie … ähm … konnten sie … sie konnten nun ein Vermögen ihr Eigen nennen.« Nervös wirft Wum einen Blick zum Bühnenrand.
Auch ich entdecke Kay im gleichen Moment. Er steht mit verschränkten Armen im Halbdunkel und sieht zu mir herüber. Unruhig rutsche ich in meinem Sessel hin und her. Am liebsten würde ich aufspringen, doch Wum hat sich gefangen und redet bereits in seinem unnachahmlichen Singsang weiter.
»Deiner Mutter kam kurz darauf zu Ohren, dass ein herrliches Haus am Strand zu verkaufen sei, und nachdem eure Familie im Frühling des nächsten Jahres wenige Kilometer weiter an das Meer zog, nutzte dein Vater euer Holzhaus, um sich dort mit einer kleinen Möbelmanufaktur selbständig zu machen.«
Während Wum Randy ein Leben, an das ich mich nicht erinnere, zusammenfasst, fliegen die holografischen, so lebensechten Bilder über die Bühne: Umzugskartons stapeln sich, ein Schlüssel, der in die Haustür gesteckt wird, fremde Menschen gehen ein und aus, wieder der Wald, mein Dad steht mit einem Hobel in der Hand über einen Stuhl gebeugt, ich sehe mich selbst am Strand mit dem struppigen Hund, das Meer …
Dunkle Wolken blähen sich wie aus dem Nichts am Himmel, das Wasser wirkt nachtschwarz, nur an
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