Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
Projektion, wo das Logo von Top The Realities flimmert. Daneben werden Daten in Form eines vereinfachten Kalenders angezeigt, auf dem Challenge 1, 13. Mai 1987, 13:27 Uhr, Verbleibende Zeit 0 Tage, 0 Stunden, 5, 4, 3, 2 Sekunden zu lesen ist.
Ich halte den Atem an. In diesem Augenblick lösen Kay und ich uns in Luft auf, wir werden nicht transparenter oder flimmern, wir verschwinden einfach. Zurück bleiben ein kreideweißer Mr White und ein zu Boden fallender Flaschenhals. Das Bild erstarrt für einen Moment, nur die Zahlenkolonnen neben dem Logo rennen weiter … 13. Mai 1987, 13:28, 13:29 … 14:57 … 19:46 … 22:16. Uhr .
Die Holografie zeigt Mr White vor seiner Blockhütte in einem Schaukelstuhl sitzend, in dem er unablässig hin und her wippt und in die nachtschwarze Ferne starrt. Neben ihm flackert eine Öllampe, um die herum zig Bierflaschen im trüben Lichtschein auszumachen sind. Mr White öffnet mit den Zähnen eine weitere, leert sie in einem Zug und lässt sie auf den Haufen gleiten. Dabei dreht er die zerbrochene Flasche an ihrem Hals, mit dessen Hilfe Kay versucht hat, den Baumstamm zu durchtrennen. Die Uhr springt eine Minute weiter und Carissas Vater hebt sich unbeholfen aus dem Schaukelstuhl, wirft den Flaschenhals in die Nacht und stößt das Mückengitter der Verandatür auf, um durch sie der Projektion zu entschwinden. Die Zahlen gewinnen an Fahrt, nach kurzer Zeit erlischt die Öllampe, der Mond schiebt sich durch die Bäume und als um 05:59 die Sonne aufgeht, erscheint auf der Bühne die Großaufnahme eines Holzstapels. Licht und Schatten fliegen darüber, Gräser zucken am Rand, ein Käfer vibriert durchs Bild. Ich halte die Darbietung schon für ein Missgeschick der Spielleitung, als ich ein blitzendes Licht zwischen den Stämmen entdecke … Die Uhr benennt die Mittagszeit des 14. Mai 1987 und mir ist im gleichen Moment klar, was schiefgelaufen ist. Ich höre mich aufstöhnen, dann steigt auch schon eine dünne Rauchfahne aus dem Holz auf, zwischen dessen losen Scheiten der achtlos weggeworfene Flaschenhals steckt.
Ich presse die Hand vor meinen Mund und flüstere: »Es ist meine Schuld.«
Meine Stimme wird durch den Show-Dome getragen und während der inzwischen lichterloh brennende Stapel seine Flammen nach dem Blockhaus ausstreckt, kommentiert Wum meine Erkenntnis: »Wir haben, nur zum Spaß, diesen Moment in unzähligen Realitäten beleuchten lassen und tatsächlich war eine zum Brennglas gewordene, zerbrochene Flasche keine vom Schicksal vorgesehene Variante.«
»Aber … Mr White … und Carissas Mum, Carissa!«
Inzwischen steht das Haus in Flammen, die Uhr rast dem Abend entgegen. Endlich quält sich die Feuerwehr den Waldweg entlang.
Wum deutet auf die Projektion. »Mr White hat den Rauch eingeatmet, bevor ihn die Flammen erreicht haben. Er ist im Schlaf aus dieser Realität geschieden. Mrs White hingegen, das heißt Mrs Delmnow, wohnt zu jenem Zeitpunkt noch in Chicago und wird Mr White nie in dem Schnellrestaurant kennenlernen, in dem sie während ihrer Reise im Herbst 1987 einen Kaffee und einen Caesar Salad bestellen wird«, erklärt Wum Randy gelassen.
Virtuelle Rauchschwaden füllen die Bühne und als der kleine Kalender am unteren Rand den 30. September 2002 anzeigt, wächst dort, wo das Blockhaus stehen sollte, hohes Gras. Es ist 15:39 Uhr und Mum kommt aus unserer Haustür, welche die Projektion jetzt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt. Der Tag von Jeremys Zeugung!
»Robert? Wo bist du? Rose kommt bald«, ruft Mum, während sie das Haus umrundet und einige Meter von meinem Vater entfernt stehen bleibt, der in einer verdreckten Latzhose auf dem Gras kniet. »Du meine Güte! Nicht schon wieder dieser Apfelbaum! Wann sägst du dieses Gerippe endlich ab … Und außerdem, solltest du nicht zumindest zu unserem zehnten Hochzeitstag etwas anderes anziehen? Robert?«
»Heute ist der 30. September«, antwortet mein Vater gedankenverloren und fährt mit dem Finger über den Stamm, der in einer kahlen Krone mündet.
Ich stelle verdutzt fest, dass unser Plan aufgegangen sein muss, denn tatsächlich hängt kein Blatt an den gebrochenen und windschiefen Ästen. Aber was ist dann schiefgelaufen?
Mein Vater erhebt sich und sieht Mum fest in die Augen. »Ich mach's!«
»Du bist doch vom Affen gebissen! Deine Erbschaft zu verschwenden, wegen ein paar Zahlen, die irgendwelche Kinder in den Baum geritzt haben! Außerdem müssen wir bald los. Robert! Deine
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