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Die Zeitreisenden in Callahans Saloon

Titel: Die Zeitreisenden in Callahans Saloon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spider Robinson
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linken Backenknochen zum Kinn verlief.
    Man nannte sie ›Die Frau mit der Narbe‹, und viele, die nur die körperliche Wunde sahen, wunderten sich darüber, daß sie sie nicht von einem Schönheitschirurgen beseitigen ließ – zu meiner Zeit ist es ein ganz einfacher kosmetischer Eingriff. Aber sie sang, und wir verstanden sie und weinten mit ihr, weil keine ihrer Narben jemals wegoperiert werden konnte oder würde, und darin lag wohl ihre Genialität. Sie war mit ihren Narben das Sinnbild einer ganzen Ära; sie erinnerte uns daran, daß wir eine Welt geschaffen hatten, in der es solche Narben geben konnte, und daß wir alle unsichtbar genau solche Narben trugen wie sie. Sie ...
    Das ist absurd. Ich versuche, einer Jungfrau den Sex zu erklären, und dabei habe ich ein ausgezeichnetes Bett zur Verfügung. Hört mir zu, Freunde. Dieses Holo wird euch eine bessere Einsicht vermitteln, als ich es kann. Gott helfe euch.
    Der Fremde holte eine glatte, blaue, etwa tennisballgroße Kugel aus der Tasche und hielt sie zum Kamin hin. Die Luft über dem Feuer flimmerte plötzlich stärker, wirbelte, tanzte und verdichtete sich schließlich. In die Stille in Callahans Bar hätte man Nieten hämmern können.
    Dann war der Kamin fort, und an seiner Stelle saß eine junge schwarze Frau auf einem Felsen, hielt eine Gitarre im Schoß, und rings um sie gab es nur sternenglitzernde Nacht. Ihr Gesicht lag im Schatten, aber während wir noch den Atem anhielten, kam der Mond hinter einer Wolke hervor und beleuchtete ihre Züge. Ihre Haut schimmerte wie Obsidian, ihr Gesicht, dem Gott Schönheit verliehen hatte, war weich, doch darüber spannte sich der harte Schatten des unglaublich geraden Schlitzes, der zwei Zentimeter unter ihrem linken Auge begann, sich zu den an und für sich breiten Lippen hinunterzog und sie spaltete, wie ein gezackter dunkler Strich unter dem Wort »Schmerz«. Sie war schwarz und eine Frau und trug eine Narbe, doch noch während wir das dachten, wurde uns klar, daß alle diese Worte auf das gleiche hinausliefen. Ihre Narbe war äußerlich sichtbar, das war schon alles.
    Wir brachten kein Wort heraus, und in der Stille hob sie die Gitarre und begann zu spielen, einen raschen, bösen, beunruhigenden Beat, wie ein verzweifelter Richie Havens, ein nicht aufgelöster und vielleicht gar nicht auflösbarer Akkord. Eine e-moll-Sexte, das Cis im Baß, ein quälender Akkord, der etwas anderes werden wollte, in Dur oder Moll, glücklich oder traurig, aber irgend etwas. Ein einfacher, beinahe gregorianischer Choral ging von dem Cis aus, kehrte aber immer unbefriedigt zurück, versuchte, sich von dem Akkord zu lösen, schaffte es jedoch nicht.
    Und vor dieser urzeitlichen, beunruhigenden Klangkulisse sprach Bobbi Joy im unpersönlichen Ton des Erzählers, der über aller Kunst steht:

    Als der Tag zu Ende ging, fiel der Schnee schwer auf die U.S. 40 herab. Auf diesem einsamen Abschnitt der Autobahn hatte sich den ganzen Tag über nichts ereignet; die Stille war so vollkommen, daß die verkümmerten Fichten und die sanften Hügel längs der Straße geglaubt hatten, das Versprechen, das ihnen vor so langer Zeit gegeben worden war, wäre endlich eingelöst worden: Die Menschen waren verschwunden und ließen sie für immer in Frieden.
    Keine Schlangen waren aus ihren Löchern gekrochen, keine Eidechsen waren über die Steine gehuscht, keine Wölfe waren lautlos auf der Suche nach Beute über das Land getrottet. Die Tiere der Wildnis warteten verdutzt, erwartungsvoll, angespannt ... worauf?
    Allmählich wurde allen Lebewesen ein merkwürdig stotterndes Dröhnen fern im Osten bewußt, das zu langsam lauter wurde, um sie zu erschrecken. Es schwoll an, näherte sich, Muskeln und Sehnen strafften und entspannten sich dann wieder, als man erkannte, daß es vertraut und harmlos war.
    Ein hellgrüner Dodge Baujahr 1960, der nur noch auf drei Zylindern lief, kam ruckweise durch die Schneeschleier in Sicht. Die Scheibenwischer bewegten sich mühsam, die schwere Maschine tastete sich die Autobahn entlang und sang heiser und stotterte das Lied der Straße. Schließlich jaulte sie noch einmal gequält auf, dann verstummte sie: Die Wischer rührten sich nicht mehr, die Kolben kamen zum Stillstand, die Scheinwerfer erloschen, der große Wagen glitt würdevoll von der Straße hinunter, lehnte seine
    müde Schnauze an einen schneebedeckten Kaktus und blieb endgültig stehen. Auf der U.S. 40 kehrte wieder Stille ein ... und noch immer warteten

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