Die Zeitreisenden in Callahans Saloon
des Abends mitangehört hatte, denn er griff nach dem Rest seines Drinks, schritt zu dem Kreidestrich in der Mitte des Raums, leerte das Glas und verkündete: »Auf Besserwisser.« Dann schleuderte er das Glas in die geometrische Mitte des Kamins.
»Wie ich einer bin«, fügte er hinzu, als er sich zu uns umdrehte. »Ich bin ein Besserwisser im großen, und ich weiß nicht, ob ich genügend Mut dazu habe. Oder das Recht.«
»Bruder«, mischte sich Callahan ein, »Sie sind hier ganz bestimmt am richtigen Ort. Wir alle sind alte Besserwisser, und beides macht uns schwere Sorgen.«
»Bei mir liegt der Fall anders«, widersprach der Besserwisser. »Ich bin nämlich auch noch ein Zeitreisender.« Er wartete auf unsere Reaktion.
»So ein Pech«, meinte Noah Gonzalez, »daß Tom Hauptman heute abend frei hat. Ihr beide hättet eine Menge Gesprächsstoff.«
»Was?« fragte der Fremde verwirrt.
»Stimmt«, bemerkte Callahan, »Tom ist auch ein Zeitreisender.«
»Aber ... aber ...«, stammelte der Typ, »ich besitze die einzige Zeitmaschine.«
»Oh, Tom hat keine komplizierten Geräte verwendet«, erklärte Noah.
»Ja«, stimmte Callahan zu. »Tom hat es sich nicht leicht gemacht. Denken Sie nicht groß darüber nach, Kumpel, es ist eine lange Geschichte. Kommen Sie aus der Vergangenheit oder der Zukunft?«
»Der Zukunft.« Der Zeitreisende war verblüfft, weil wir nicht vom Stuhl fielen. Uns bringt man wirklich nicht so leicht aus der Fassung. »Das heißt, aus der Zukunft, wie sie jetzt ist ... ich meine ...« Er verstummte verwirrt.
»Ich kenne mich schon aus«, tröstete ihn Noah, der wie ich ein alter SF-Freak ist. »Sie kommen aus der Zukunft, aber Sie werden diese Zukunft verändern, indem Sie die Vergangenheit verändern, die unsere Gegenwart ist, nicht wahr?«
Der Kerl nickte.
»Was soll das heißen?« brummte Doc Webster.
»Ich komme aus dem Jahr 1995«, erklärte der Mann im Mantel müde und geduldig, »und ich werde im Jahr 1974 den Ablauf der Geschichte verändern. Wenn es mir gelingt, wird die Welt, in die ich zurückkehre, anders sein als diejenige, die ich verlassen habe.«
»Besser oder schlechter?« wollte Callahan wissen.
»Das ist ja das Verdammte daran: ich weiß es nicht. Ach Scheiße, ich werde Ihnen besser gleich die ganze Geschichte erzählen. Vielleicht hilft es mir.«
Callahan schenkte ein, und wir machten es uns sehr bequem.
Sie hieß Bobbi Joy (sagte der Fremde), und man konnte nicht behaupten, daß es noch nie jemanden wie sie gegeben hatte. Eine Menge Frauen waren so gewesen wie sie. April Lawton war zum Beispiel eine beinahe genausogute Gitarristin. Aretha strahlte zeitweise die gleiche Intensität aus. Billie Holiday schleppte bestimmt den gleichen Kummer mit sich herum und konnte ihn in Musik umsetzen. Joni Mitchell und Roberta Flack verfügten, jede auf ihre Art, über die gleiche technische Perfektion und die gleiche Reinheit des Tons. Dory Previn war als Lyrikerin genauso dramatisch und ergreifend, und Maria Muldaur verfügte über die gleiche natürliche Anmut.
Aber selbst wenn man sie alle zusammengemixt hätte, wäre daraus noch keine Bobbi Joy geworden, und zwar wegen ihrer Stimme. Es war einfach unmöglich, daß es eine solche Stimme geben konnte. Wenn ein Song von Bobbi Joy zu Ende war, sei es auf Band, auf Platte, auf einem Holo oder als ganz seltener Glücksfall live, schüttelten die Zuhörer ungläubig den Kopf darüber, daß eine menschliche Kehle solchen Schmerz ausdrücken konnte, daß es solchen Schmerz geben konnte, und daß man solchen Schmerz hören und trotzdem weiterleben konnte.
Ihr Name war die reinste Ironie; sie hatte ihn von ihrem Beschützer in ihrem vorherigen, sehr alten Beruf bekommen, und sie war zu zynisch und zu gleichgültig, um diesen Namen zu ändern, als ihre ersten Platten Käufer fanden. Ich habe mich oft gefragt, was ihre früheren Kunden wohl empfinden, wenn sie sie singen hören; ich bin davon überzeugt, daß jeder einzelne Namenlose, Gesichtslose von ihnen sich an sie erinnert.
Und sie erkennen natürlich auch, wie paradox ihr Name ist – denn obwohl Gott ihr alle möglichen körperlichen Anlagen in die Wiege gelegt hat, damit sie Freude bereiten kann, bestand immer eine Kluft zwischen ihr und ihrem Namen. Obwohl viele Lippenpaare ihren Namen aussprachen, vermittelte ihr keines das Gefühl, daß er ihrem Wesen entsprach.
Denn die Narbe in ihrer Seele war genauso tief und blaß wie diejenige, die wulstig und gezackt von ihrem
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