Die Zeitreisenden in Callahans Saloon
nahm kein Rauschgift, rauchte höchstens gelegentlich in Gesellschaft eine Marihuana-Zigarette und wirkte nie deprimiert oder zynisch in ihr Schicksal ergeben, wie es für ihre Kolleginnen typisch ist. Sie war stolz und kämpferisch, und es gab unter ihren Bekannten keinen, der sie nicht achtete. Man konnte ihren Körper kaufen, aber nicht ihre Seele. Die Puffmütter liebten sie, weil sie bei der Abrechnung niemals mogelte, die Mädchen liebten sie, weil sie über eine beträchtliche Portion Zivilcourage verfügte und immer hilfsbereit war, und ihre Freier liebten sie, weil sie sich bei der Arbeit als echter Profi erwies.
Dann kam die Razzia.
Angeblich war es ein politisches Mißverständnis – ein Schmiergeld wurde nicht bezahlt, ein Beamter wurde versehentlich beleidigt, ein besonders treffend geschriebener Leitartikel forderte energische Maßnahmen – was immer es war, im April 1974 fand nach bewährter Manier eine Razzia in Hannahs Haus statt, mit Grüner Minna und allen Drum und Dran. Bobbi wurde mit den übrigen Mädchen in den Wagen verfrachtet, bevor sie sich etwas überziehen konnte. Daher erregte sie die Aufmerksamkeit eines Polizisten namens Duffy, der der Ansicht war, daß ihm sein Beruf in solchen Situationen gewisse Vorrechte verschaffte. Er versuchte, sich zu holen, was ihm seiner Meinung nach zustand, und wurde abgewiesen: Bobbi gab zwar zu, daß sie käuflich war, aber sie wollte verdammt sein, wenn man sie umsonst haben konnte. Duffy ließ nicht locker, worauf ihn Bobbis Knie an einer äußerst empfindlichen Stelle traf. Er verlor seine Selbstbeherrschung vollkommen und riß Bobbi mit dem Lauf seiner Pistole das Gesicht auf. Duffys Sergeant, der gleichzeitig Duffys Schwager war, geriet dadurch in eine sehr unangenehme Lage und beschloß, die Wunde einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, Bobbi zusammen mit den übrigen Mädchen einzusperren und die Verletzung auf eine Auseinandersetzung in der Zelle zu schieben. Als sich endlich ein Arzt um sie kümmerte, war es zu spät. Sie war für ihr Leben gezeichnet und konnte den einzigen Beruf, den sie erlernt hatte, nie mehr ausüben.
Beinahe ein Jahr später erhielt ein Produzent mit der Post ein Tonband. Solche Tonbänder werden normalerweise nie abgehört, aber bei diesem standen die Titel der Songs auf dem Etikett, und schon der erste erregte die Aufmerksamkeit des Produzenten: »Der Selbstmord-Song.« Es war eine rohe, selbstgestrickte Aufnahme des Songs, den Sie soeben gehört haben. Der Produzent spielte ihn einmal ab und sucht dann siebzehn Stunden lang fieberhaft Bobbi Joy.
Er machte sie nicht zum Star; er zeichnete einfach ihre Songs auf und brachte sie auf den Markt. Sie wurde zum Star, zu einem Star, wie es ihn noch nie gegeben hatte. Mindestens sieben ihrer Nummern – Band und Holo – wurden nicht zur Veröffentlichung freigegeben, weil in den Gebieten, in denen sie gesendet wurden, die Selbstmordziffer sprunghaft stieg. Es war kein Vergnügen, in den siebziger und achtziger Jahren zu leben, und Bobbi Joy faßte nur zu gut in Worte, was viele von uns empfanden. Sie war ein immer wieder analysiertes und nie erklärtes Phänomen, und wenn ihre Lieder einigen von uns eine perverse Form von Lebensmut gaben, lag es vielleicht mehr an uns als an ihr. Oder vielleicht auch nicht.
Jedenfalls wurde der Produzent, beinahe ohne einen Finger zu rühren, unsagbar reich. Was ihn nicht tröstete. Der arme Teufel war dazu verurteilt, der Mann zu sein, der der Welt Bobbi Joy geschenkt hatte – wie konnte er da sein Herz mit Geld beschwichtigen? Er schenkte den Großteil seiner Einnahmen seinem verrückten Bruder, der eine Zeitmaschine bauen wollte, und war davon überzeugt, daß er das Geld damit los war. Mit dem Rest ertränkte er sich in Alkohol; ihre Bänder spielte er nie für sich selbst ab. Wie alle ihre Fans empfand er das Bedürfnis, ihr Frieden zu bringen, und wußte, daß das niemand konnte; aber für ihn war es schlimmer. Er liebte sie leidenschaftlich, verzweifelt und hoffnungslos, und daher vermied er es, mit ihr zusammenzutreffen. Er träumte davon, ihre Verunstaltung beseitigen zu lassen, er nahm ständig ab, und als ihm sein verrückter Bruder eines schönen Tages im Frühling berichtete, daß die Zeitmaschine funktionierte, wußte er, was er zu tun hatte.
Obwohl sein Bruder verrückt war, dachte er damals relativ klar und versuchte, vernünftig mit dem Produzenten zu reden. Er erwähnte, daß der Produzent, wenn er die Vergangenheit
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