Die Zeitstraße
dabei Geschwindigkeiten bis zu 20 km/sec erreicht.
Aber mehr nicht. Der große Tag war heute. Der Tag, an dem der Menschheit gezeigt werden sollte, daß man notfalls – und dazu noch billig – auch innerhalb von siebzig Minuten von der Station bis zum Mond gelangen konnte.
»Noch zwei Minuten, Dick«, sagte die Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich denke, du machst dich am besten auf den Weg.«
Der Testflug war ein Unternehmen der Privatindustrie. Es gab kein Verabschiedungskomitee, keine Fernsehkameras, keinen Rummel. Nur ein paar Leute vom Betrieb, Männer vom Fach, die es ehrlich meinten. Sie schwebten an Dicks Seite durch den langen, flexiblen Tunnel, der die Raumstation mit der Mondfähre verband. Der Tunnel war ohne Fenster. Dick bekam sein Testfahrzeug von außen nicht mehr zu sehen.
Das Innere der Fähre war mit Öl gefüllt, ebenso wie die Zwischenlagen seines Anzugs. Das war der neue Trick. Alles: Pilot, Instrumente, Ballast, Nutzladung war in Öl gepackt. Damit sollte die mörderische Wirkung des Andrucks gemildert werden, der bei Beschleunigungen bis zu zehn g auftrat. Das Prinzip funktionierte. Es war auf Zentrifugen und auch an Bord der Fähre oft genug getestet worden. Belebtes und unbelebtes Transportgut ertrug, in Öl gebettet, den Andruck von 10 g leichter als ein Drittel dieses Wertes in der künstlichen Atmosphäre des herkömmlichen Raumschiffs.
Dicks Helm wurde sorgfältig geschlossen. Er betrat die Schleuse. Das Schott schloß sich hinter ihm. Bald begann das Öl einzuströmen und an ihm in die Höhe zu steigen. Als die Schleuse gefüllt war, öffnete sich das innere Luk selbsttätig. Dick begann, sich durch die zähe, viskose Ölmasse zu kämpfen. Er hatte darin schon einige Geschicklichkeit entwickelt und kam ziemlich gut voran. Er gondelte zum Sitz des Piloten und schnallte sich an. Auf der Konsole glühten die Kontrollampen in der gewohnten Ordnung. Alles war klar. Die Geräte waren einsatzbereit, die Ölfüllung der Raumfähre blasenfrei.
»Alles in Ordnung«, sagte Richard McHenry in das Mikrophon seines Helms.
»Bis auf dich selbst«, antwortete eine freundliche Stimme. Das war Bob Phillips, der Arzt. »Was ist los? Nervös? Dein Puls schlägt einhundertdreißig!«
Dick lachte gezwungen.
»Hast du vielleicht schon mal so ’nen Feuereimer unter dem Hintern gehabt?« spottete er.
»Nur nicht aggressiv werden!« redete Phillips ihm zu. »Solange du dich in Ordnung fühlst, ist alles okay.«
»Ich bin in Ordnung«, bestätigte Dick.
»Also gut.«
Gleich darauf meldete sich eine andere Stimme. Karl Wetzstein, der Flugleiter. Er sprach englisch mit einem harten, deutschen Akzent.
»Dreißig Sekunden – mark!«
Dick prüfte die Beweglichkeit der Arme und Handgelenke. Die Mondfähre wurde vollautomatisch gesteuert. Aber wenn eine der Komponenten einen Versager entwickelte, mußte der Pilot eingreifen. Er trug unförmige Handschuhe mit Fingern, die so breit waren wie eine halbe Hand. Dafür waren die Schalter und Knöpfe auf der Konsole auch wesentlich umfangreicher als normal. Wenn er die Finger dicht gegeneinander preßte und die Hand wie eine Schaufel nach vorwärts bewegte, so daß sie dem zähen Öl die geringste Angriffsfläche bot, dann kam er ziemlich gut zurecht.
»Noch fünfzehn!« sagte Wetzstein.
Dick blickte in die Höhe. Über ihm schwebte im Öl ein großer Bildschirm, auf dem im Augenblick die Außenhülle der Raumstation mit ihren vielen Gliedmaßen zu sehen war. Das Öl war völlig rein von Zusätzen, eine glasklare, transparente Flüssigkeit. Er konnte das Bild so gut sehen, als säße er zu Hause vor seinem Fernsehgerät.
Wetzstein zählte die verbleibenden Sekunden ab. Bei »Null!« gab es einen kräftigen Ruck. Dick wurde fest in das Polster des ebenfalls ölgefüllten Sessels gepreßt. Das Bild der Raumstation verschwand wie weggewischt. Auf dem Bildschirm zeigte sich der schwarze, mit Sternen übersäte Hintergrund des Alls.
»Gut abgekommen«, berichtete Karl Wetzsteins Stimme, die in ihrer kühlen Sachlichkeit beruhigend wirkte, weil sie sich so anhörte, als sei der Flug gar nichts Besonderes. »Beschleunigung und Kursvektoren normal. Ein vorzüglicher Flug, Dick!«
»Verstanden«, bestätigte Richard McHenry.
Er beobachtete das Akzelerometer. Vorläufig hatten die Triebwerke noch gegen fast 1 g Erdbeschleunigung anzukämpfen. Je weiter sich jedoch die Fähre von der Station in Richtung Mond entfernte, um so mehr lockerte sich der Griff, mit
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