Die Zeitstraße
einmal, wenn auch in vielen Fällen eine wohltätige – und ihn eine Sequenz von Ereignissen erleben ließ, die sich von den Beobachtungen seiner Kameraden drastisch unterschied.
Es wäre falsch zu behaupten, daß Richard McHenry seine Erlebnisse nur träumte oder Ohl Pommeroy die Gabe der Prophetie besäße. McHenrys Erlebnisse waren ebenso eine Spiegelung der Wirklichkeit wie die anderer Menschen, nur eben außerhalb der Konvention für das Empfinden des Zeitablaufs. Und Pommeroy konnte niemals für sich in Anspruch nehmen, ein Prophet zu sein, weil er ja nicht wußte, nicht wissen konnte, ob das Ende, das er erlebt hatte, wirklich das Ende der Sequenz war, deren Anfang von ihm und seinen Kameraden gemeinsam erlebt worden war.
Die Mondfähre
»He, Dick – du hast noch zwanzig Minuten«, sagte die trockene Stimme aus dem Lautsprecher.
»Verstanden«, bestätigte Dick interesselos.
Die letzten zwanzig Minuten sind immer die schlimmsten, schoß es ihm durch den Kopf. Er blickte aus dem dickverglasten Fenster und sah die spinnenbeinartigen Extremitäten der Raumstation, grellweiß im Glanz der Sonne leuchtend, sich in die Schwärze des Alls erstrecken. Irgendwo in dem Wirrwarr des stählernen Filigrans versteckt befand sich das Fahrzeug, das er in zwanzig Minuten besteigen würde.
Richard McHenry, Senor-Testpilot der United Aerospace Industries, geboren am 24. Juni 1963 in Spokane, Washington, 36 Jahre alt, Besitzer mehrerer Orden und Auszeichnungen für zivilen Mut und die Bemühung um den Fortschritt sowie einer Handvoll von Geschwindigkeitsrekorden für diverse Fahrzeugtypen der Luft- und Raumfahrt. Ein Mann, den nichts erschüttern konnte, wie seine Umwelt meinte. Richard McHenry hatte Angst.
Die Angst war ihm nichts Neues. Er hatte es jedesmal vor einem kritischen Start, das komische Gefühl im Leib, Schmetterlinge im Magen, wie die Leute sagten. Es war eine Art Lampenfieber. Heute war es besonders intensiv. Richard McHenry versuchte, ihm dadurch zu begegnen, daß er seine Vorbereitungen ein zusätzliches Mal überprüfte. Der aus mehreren Lagen bestehende, in den Zwischenlagen mit Öl gefüllte Raumanzug saß. Die Klimatisierung funktionierte. Schweiß und Atemfeuchtigkeit wurden planmäßig ausgeschieden. Die Anschlüsse, die zu den Funkrelais führten und Meßdaten wie Blutdruck, Körpertemperatur, Puls und andere übertrugen, saßen fest in ihren Buchsen. Er brauchte sie nur anzuschließen und den Helm aufzusetzen, dann war er fertig.
Das Chronometer zeigte, daß ihm noch zwölf Minuten verblieben. Er schwebte quer durch den kleinen Raum, der ihm während der vergangenen Stunden als Vorbereitungskabine gedient hatte, und zwängte sich in den Sessel vor dem Schreibtisch, auf dessen Tischplatte die Unterlagen mit den wichtigsten Daten des bevorstehenden Testflugs festgeheftet waren. Noch einmal studierte McHenry die Zahlen, die er doch schon bald auswendig kannte, und versuchte, sich Größe und Bedeutung des heutigen Unternehmens zu vergegenwärtigen.
Eine neue Mondfähre, ein wirtschaftliches, kleines Fahrzeug, das der Selenologie neuen Auftrieb geben sollte, nachdem sie seit über zwei Jahrzehnten aus Mangel an Geld brachgelegen hatte. Die Mondfähre, ein kleiner Flitzer, mit dem die Entfernung von der Raumstation bis zum Mond zu einer lächerlichen Spritzfahrt wurde, ein Produkt modernster Technologie, mit einem Kerntriebwerk ausgestattet, das bei normaler Belastung, Dauerbeschleunigungen bis zu 10 g ermöglichte. Selbstverständlich wiederverwendbar, vollautomatische Steuerung durch Komputer, Direktanflug auf den Mond, Wegfall der zeitraubenden Lunarorbits, und so weiter, und so fort. Eine Maschine, die Richard McHenry an diesem Tag einen weiteren, nämlich den absoluten Geschwindigkeitsrekord einbringen würde. Am Umschaltpunkt – also dort, wo der Vektor des Triebwerks um einhundertachtzig Grad geschwenkt wurde und das Fahrzeug zu bremsen begann – würde die Geschwindigkeit mehr als 190 km/sec betragen, rund achtmal mehr, als der schnellste Mensch, ebenfalls Richard McHenry, bislang geflogen war.
Natürlich begeisterte sich Dick für diese Dinge. Auch kannte er die Mondfähre in- und auswendig. Schließlich war es nicht so, daß die Leute von UAI einem einfach ein funkelnagelneues Fahrzeug in die Hand drückten und sagten: So, jetzt sieh mal zu, was du aus ihm ’rausholen kannst. Er hatte mit der Fähre geprobt. Er hatte Ausflüge in die Umgebung der Raumstation unternommen und
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