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Die Zeitwanderer

Die Zeitwanderer

Titel: Die Zeitwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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verbunden, dass sich bei seiner Eröffnung eine lange Schlange von Kunden vom Eingang bis in den geschäftigen Marktplatz hinein erstreckte. Dies erregte natürlich noch mehr Aufmerksamkeit, was dazu führte, dass die Menschenmenge vor dem Kaffeehaus weiter anschwoll. Engelbert und Wilhelmina sowie ihre vier uniformierten Angestellten waren schon sehr bald überfordert von dem Ansturm. Schon am Mittag waren die Regale mit den Torten, Kuchen und anderen Backwaren leergefegt. Danach servierten sie nur noch Kaffee, bis sie bei Sonnenuntergang die Tür zusperrten. Kaum hatten sie die Fensterläden geschlossen, erschien Arnostovi mit einer Flasche Rieslingwein, die er zur Feier ihres Triumphes öffnete.
    »Ihr solltet stolz auf Euch sein, meine Freunde«, verkündete er, füllte die Pokale und reichte sie an Mina, Etzel und die Angestellten weiter. »Eine erfolgreiche Geschäftseröffnung in dieser Stadt ist außergewöhnlich selten. Eine solche Nachricht wird die höchsten Ebenen der Gesellschaft erreichen. Schon jetzt verbreitet sich die Neuigkeit in den großen, bedeutenden Häusern. Ihr werdet berühmt sein in Prag.«
    »Habt Dank, Herr Arnostovi«, sagte Etzel schlicht. »Wir wissen, dass wir das alles ohne Eure Hilfe nicht zustande gebracht hätten.«
    »Ich habe nur meine eigenen Interessen wahrgenommen«, erwiderte Arnostovi. »Weiter nichts.«
    »Ihr habt viel mehr als das getan«, widersprach ihm Mina. »Etzel hat recht: Ohne Eure Unterstützung hätten wir niemals so schnell so weit kommen können, Herr Arnostovi. Eure Hilfe in den vergangenen Tagen hat den entscheidenden Unterschied gemacht.«
    Erfreut über dieses überschwängliche Lob vollführte der große, dünne Mann eine feierliche, tiefe Verbeugung; den Arm schwang er dabei zu einer weit ausholenden Geste. »Das Vergnügen war ganz und gar auf meiner Seite«, erklärte er, reckte seinen Pokal empor und rief: »Möge Gott Euch jeden Erfolg gewähren!«
    Engelbert, der seine eigene Freude nur schwerlich in sich verschließen konnte, schloss sich dem Trinkspruch an. »Es ist richtig, sich in diesem Moment an Gott zu erinnern«, sagte er, nachdem sie den ersten Schluck getrunken hatten. »Denn ohne Gott ist nichts möglich.« Er hob seinen Kelch und sprach: »Auf Gott - unseren weisen Ernährer, Wohltäter und Freund. Mögen all unsere Anstrengungen Seinem Namen Lob und Ruhm bringen!«
    Arnostovi lächelte. »Ich bin zwar ein Jude, doch diesen Worten können wir alle zustimmen. Und ich sage zu Euch: ›Amen und nochmals Amen!‹«
    Sie tranken die Flasche mit dem süßen Weißwein leer. Anschließend setzte man das Personal an die Aufgabe, den Teig zu mischen und den Backofen für den nächsten Tag vorzubereiten. Wilhelmina und Engelbert wurden von ihrem Geschäftspartner zu einem guten Abendessen eingeladen. Arnostovi führte die beiden zu einem Speisehaus, wo er des Öfteren mit Freunden dinierte. Dort feierten sie in bester Laune den ganzen Abend, und am folgenden Morgen öffneten sie ihre Türen für eine weitere riesige Schlange von neugierigen und begeisterten Kunden.
    Für Wilhelmina war der ganze Aufruhr sehr erfreulich, obschon er viel Hektik mit sich brachte. Endlich wurden - zum ersten Mal in ihrem Leben - ihre Fertigkeiten honoriert und sogar gelobt; und das bei einem Geschäft, das sie ganz unter ihrer Kontrolle hatte, wo sie ihre eigenen Wunschvorstellungen in die Tat umsetzen konnte und wo alles exakt nach ihren Vorgaben ablief. So etwas, überlegte sie, wäre damals in London niemals passiert.
    An London und ihr früheres Leben dort zu denken versetzte sie in eine melancholische Stimmung - nicht etwa, weil sie es so sehr vermisste ... sondern weil sie es nicht vermisste. Zuerst hatte sie sich gefragt, wie sie solch eine abrupte und extreme Veränderung jemals überleben könnte - immerhin war sie in einer alten, längst vergangenen Epoche und in einem merkwürdigen, fremdartigen Land gestrandet. Doch die Wahrheit sah nun ganz anders aus, wie ihr allmählich dämmerte: Sie hatte nicht nur überlebt, sondern war geradezu aufgeblüht, und zwar weit jenseits aller realistischer Erwartung. Das hatte sie in einem hohen Maße Engelbert zu verdanken, wie betont werden musste, doch ebenso auch dem geschäftlichen Erfolg. Ihr Leben vor dem Sprung in diese Welt hier erschien ihr inzwischen fast wie ein Traum, aus dem sie erwacht war. Und wie ein Traum war jenes Leben in den vergangenen Tagen immer mehr verblasst und zunehmend in weite Ferne gerückt.

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