Die Zeitwanderer
Sturm! Schwarze Wolken ballten sich über ihnen zusammen, und ein stürmischer Wind pfiff laut durch die Gasse, die wie eine Kluft zwischen Gebäuden wirkte. Dann begann es zu regnen. »Genau so!«, schrie er. »Fühlst du es?«
»Was?«, rief Wilhelmina. Sie strengte sich an, trotz des unheimlich kreischenden Sturms etwas zu hören und gehört zu werden.
»Mir nach!«, brüllte er. »Bleib dicht hinter mir! Du willst bestimmt nicht verloren gehen.«
Er begann zu laufen, um aus dem Regen herauszukommen. Er spürte, dass der Weg unter ihm seine feste Form verlor: Es war, als würde er über den Boden einer Hüpfburg joggen. Im selben Augenblick vermochte er nur noch verschwommen zu sehen und fühlte, wie er stürzte - nicht weit nach unten, wie sich herausstellte: Es war so, als ob er von einer Treppenstufe auf den Boden fallen würde.
Er wischte sich mit den Handballen das Wasser aus dem Gesicht und schrie: »Hier! Hier bin ich!«
Als er keine Antwort erhielt, drehte er sich zur Gasse hinter ihm um. Wilhelmina war nirgendwo zu sehen.
VIERTES KAPITEL
D er Sturm verzog sich heulend und ließ Kit nass und mit einem ekelhaften Gefühl im Magen zurück. Zudem hatte Kit den unangenehmen Eindruck, dass sein Kopf um zwei Größen zu dick geworden war. Mit einem durchnässten Ärmel wischte er sich den Sabber vom Kinn und wartete einen Moment; währenddessen lauschte er auf das Geräusch des rasch verschwindenden Sturmes.
»Mina?«, rief er.
Keine Antwort.
Erneut schrie er ihren Namen und begann, einen Teil des Weges zurückzugehen, den er gekommen war. Dabei suchte er nach einem Eingang, einer Mauernische oder nach irgendeinem noch so winzigen Raum, wo sie Schutz gesucht haben könnte. Er fand nichts als glatte Ziegelsteinmauern auf beiden Seiten. Als er schließlich wieder zum Ende der Gasse zurückkehrte, musste er sich eingestehen, dass Mina nicht mehr da war.
Kit hatte sich zuvor so manches vorgestellt, was eintreten könnte, aber diese Möglichkeit hatte er nicht mit einkalkuliert: dass ihm der Sprung zu dem anderen Ort gelingen würde - wie es ihm nun schien -, während sie in der realen Welt zurückblieb. Der Gedanke, dass Mina sich jetzt klatschnass auf den Heimweg begab, seinen Namen in alle vier Himmelsrichtungen schrie und ihn laut verfluchte, ärgerte und frustrierte ihn. Es ärgerte ihn beinahe genauso stark wie zuvor, als sie ihm nicht geglaubt hatte. Doch vielleicht glaubte sie ihm jetzt. Nachdem sie gesehen hatte, wie er vor ihren Augen verschwunden war - was konnte sie da anderes denken, als dass er ihr die ganze Zeit über die Wahrheit gesagt hatte?
Andererseits hatte er sie in einer schmutzigen Gasse in King's Cross zurückgelassen. Das könnte alles zunichte machen, was ihm möglicherweise zugute gehalten wurde, weil er tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte. Bei Wilhelmina konnte man so etwas nie wissen.
Doch dann fiel ihm ein, dass der Ausweg aus dieser Zwickmühle klar auf der Hand lag: Er würde einfach zurückgehen.
Kit atmete tief ein, sammelte seine Kräfte und machte sich bereit für einen weiteren Lauf. Gerade als er in die tiefdunklen Schatten der Gasse hineinrennen wollte, vernahm er, wie jemand seinen Namen rief. Er drehte sich um, blickte auf den Zugang zur Gasse und sah die nunmehr vertraute Gestalt des alten Mannes herbeieilen, der behauptete, sein Urgroßvater zu sein.
»Hallo, Kit!«, rief Cosimo. Wie zuvor trug er einen langen dunklen Mantel und einen breitrandigen Filzhut, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. »Ich wusste, dass du zurückkommen würdest«, sagte er, als er vor seinem Urenkel stehen blieb. »Darf ich annehmen, dass du deine Meinung geändert hast? Dass du deine Angelegenheiten geordnet und allen für dich wichtigen Personen Lebewohl gesagt hast? Und dass du bereit bist, bei dem lebenswichtigsten Unterfangen mitzuwirken, das deinen höchsteigenen und ganz persönlichen Einsatz erfordert?«
»Okay, okay«, lenkte Kit ein. »Immer langsam.«
»Hör auf, der Frage auszuweichen. Bist du bereit, dich mir anzuschließen?«
»Na ja ... Es gibt da ein kleines Problem. Das Mädchen, das ich kenne - meine Freundin Mina -, wartet zu Hause auf mich ... Eigentlich im Stane Way. Wir hatten vorgesehen, zusammen hierherzukommen, und -«
»Was?«
»Ich wollte es ihr nur zeigen; aber sie hat den Sprung nicht mitgemacht.«
»Nicht mitgemacht?«, wiederholte Cosimo und zog die Augenbrauen nach unten, sodass sein Gesicht sich verfinsterte. »Was hast du
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