Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
zwölf Briefe, die Beate Zschäpe versendet hat, werden ausreichen, die blutige Geschichte des Trios zu erzählen. Mit der Veröffentlichung des Videos wird der «Nationalsozialistische Untergrund» auf einen Schlag bekannt. Für Beate Zschäpe werden ihr Leben und der Tod der Männer nicht umsonst gewesen sein.
Alle Umschläge sind mit der gleichen Gedenkbriefmarke frankiert. Die Verwendung dieser Marke lässt darauf schließen, dass der Versand noch nicht so lange geplant war. Denn das Postwertzeichen wurde erstmals im Januar 2010 von der Deutschen Post verkauft. Auch die Auswahl der Empfänger wirkt sehr erratisch. Es wird nicht ganz klar, was die Zelle mit dem Versand an so unterschiedliche Ziele bewirken wollte. Zwar sandte Zschäpe das Bekennervideo an die Presse, aber warum nicht an relevante Zeitungen und Zeitschriften wie den Spiegel , die Süddeutsche Zeitung oder den stern ? Warum verschickten die drei ihr Vermächtnis an die «PDS», die im November 2011 bereits seit über sechs Jahren Linkspartei und später Die Linke hieß? Und wieso bekamen parallel türkische Moschee-Initiativen und der Neonaziversand Patria Post vom Trio?
Nachdem Beate Zschäpe sichergestellt hat, dass ihre Gruppe «NSU» in die Geschichte eingehen wird, läuft sie schnell zurück zum Leipziger Hauptbahnhof, um diesmal einen Intercity-Schnellzug nach Eisenach zu besteigen.
Noch vor Einbruch der Dunkelheit, die sich im deutschen Winter schon vor 17 Uhr über die Republik legt, tut sie etwas sehr Gefährliches. Obwohl sie ahnt, dass die Stadt von Polizisten wimmelt, steigt sie in Eisenach aus dem Zug. Trotzdem will sie noch einmal an den Ort gehen, wo Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gestern gestorben sind.
Die Anwohnerin Silvia Lehnert sieht Zschäpe in diesen Stunden «auffällig ziellos und mit starrem Blick nach unten» an der Stelle herumlaufen, wo sich vor etwas mehr als 24 Stunden ihre beiden Komplizen selbst richteten. Die unbekannte Person fällt Frau Lehnert auf, während sie mit ihrem Freund zu einem Samstagnachmittagsspaziergang aufbricht. «Sie wirkte, als ob sie unter Schock stand», sagt Silvia Lehnert. Zschäpe läuft planlos umher, so als ob sie mit offenen Augen träumen würde. Der Anwohnerin fällt das verwahrloste Äußere von Zschäpe auf, sie sah aus, als hätte sie «schon ein paar Tage nicht geduscht», sagt Lehnert.
Innerhalb eines Tages hatte Beate Zschäpe alles das getan, was sie noch zu tun hatte: Sie war in vier Städte gereist, hatte die letzten Wünsche ihrer beiden Zellenmitglieder erfüllt und war noch einmal an den Ort ihres Todes gefahren. Was soll jetzt aus ihr werden?
Solange sie unterwegs ist, kann sie nicht gefunden werden. Aber sie hat nur wenig Geld.
Ihr Weg führt sie erst mal wieder zum Bahnhof. Beate Zschäpe tut das, was sie in den vergangenen 13 Jahren immer wieder getan hat: Flüchten, reisen, sich verstecken. In den nächsten Tagen fühlt sie sich verfolgt und fängt an zu halluzinieren. Überall sieht sie Fahnder.
Von Eisenach begibt sie sich nach Norddeutschland. In der Nacht zum darauffolgenden Sonntag kommt Beate Zschäpe in Bremen an. Was hat sie hier gewollt? Direkt gegenüber dem Hauptbahnhof befindet sich die Kneipe «Bell’s Little Pub», die 24 Stunden geöffnet hat. Laut einem Artikel der tageszeitung aus dem Jahr 2009 soll die Bar ein Neonazitreffpunkt sein. Vielleicht hatte Zschäpe gehofft, hier Anschluss an Gesinnungsgenossen zu finden.
Sehr lange hält sie es jedoch nicht in der Hansestadt aus und druckt sich um 3:38 Uhr ein Schönes-Wochenende-Ticket am Fahrscheinautomaten des Bremer Bahnhofs aus. Es kostet nur 40 Euro und gilt in ganz Deutschland für den gesamten Tag. Als Fahrgastname trägt sie mit Kugelschreiber ihre Tarnidentität «Susann E.» ein. Der Name ist einer ihrer mindestens elf Aliasnamen im Untergrund. In ihrer Leopardenlook-Handtasche hat sie auch einen Fahrradpass, der sie als «Susann E.» ausweist.
Die Zangenstempel der Schaffner auf ihrem Ticket zeigen, dass sie noch in den Morgenstunden wieder südwärts reist. An jeder Station denkt sie, der Zug würde nur ihretwegen anhalten. Sie ist fest davon überzeugt, dass sie in jedem Moment festgenommen werden wird. Auf einmal sieht sie Männer, zu deren Ohren verdächtige Drähte führen. Drähte von Funkgeräten. Da eben, einer der Männer schaute sie doch einige Sekunden lang an. Was will er von ihr? Gleich ist es so weit. Der Schaffner hat doch alle Reisenden kontrolliert, nur sie nicht.
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