Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Das muss ein Zeichen sein, dass er weiß, wer sie ist. In ihrer Wahrnehmung wird sie einen Fahnder nur los, weil sie ihm das Gefühl geben kann, sie würde gleich auf ihn schießen.
Von Bremen geht es in einer 17,5-stündigen Marathonfahrt über Hannover, Uelzen, Magdeburg und Halle zurück nach Eisenach. Von dort soll es nach Weimar weitergehen.
Es ist 21:46 Uhr am 5. November 2011.
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Der Unfall
Auch in Weimar scheint Beate Zschäpe nichts Konkretes vorzuhaben. Vermutlich hat sie nur ein Ziel: nicht auffallen, um der Polizei nicht in die Hände zu geraten. Um 3:51 Uhr druckt sie sich an einem Automaten im Tunnel des Weimarer Bahnhofs einen neuen Fahrschein aus. Ziel diesmal: Halle an der Saale, wo ihre Bahn um 5:50 Uhr einfährt. Es ist Montag, der 7. November 2011.
Am selben Tag in Zwickau. Die Richterin am Amtsgericht Zwickau erlässt Haftbefehl gegen Beate Zschäpe. Es bestehe dringender Tatverdacht gegen sie wegen «schwerer Brandstiftung gemäß §306 a Abs. 1 Nr.1 Strafgesetzbuch». Des Weiteren «besteht der Haftgrund der Flucht gemäß §112 Abs.2 Nr. 1 StPO, da die Beschuldigte nach den vorliegenden Erkenntnissen flüchtig ist bzw. sich verborgen hält».
In Halle angekommen, streift Beate Zschäpe den gesamten Vormittag ziel- und gedankenlos durch die Innenstadt – nur fort von den Überwachungskameras und dem Bundespolizeirevier am Hauptbahnhof. Sie passiert Straßen, quert Plätze und schlendert an Geschäften entlang. Kurz vor Mittag läuft sie über den zentralen Franckeplatz, der an die historischen Gebäude der Francke’schen Stiftungen angrenzt. Sie leidet unter Schlafmangel.
Zeugen sagen später, Zschäpe habe mit offenen Augen geträumt und nicht auf ihre Umwelt geachtet. Den imposanten weißen Komplex der Stiftungen hat Zschäpe gerade hinter sich gelassen, als sie bei einer roten Ampel, ohne vorher nach links und rechts zu schauen, die Straßenbahnschienen kreuzt. Ein lautes Quietschen ertönt, eine Bahn aus Halle-Neustadt bremst hart ab und kommt zum Stehen.
Im letzten Moment kann Beate Zschäpe nach hinten springen und wird nicht von der Straßenbahn erfasst. Stark zitternd taumelt sie einer älteren Dame mit Hund in die Arme.
Die 66-jährige Petra Mühlpfordt ist erschrocken und nimmt sich Zschäpes sofort an. Mühlpfordt fasst Beate Zschäpe am linken Arm und geleitet sie zu einer Bank, wo sich die beiden Frauen erst einmal setzen. Noch immer zittert die junge Frau am ganzen Körper, darum entscheidet Frau Mühlpfordt, mit ihr in das nahegelegene Krankenhaus St. Elisabeth zu gehen.
Auf dem Weg sagt die zitternde Zschäpe, dass es ihr wieder besser gehe und sie nicht in ein Krankenhaus wolle. Daraufhin setzen sich beide Frauen wieder auf eine Bank. Frau Mühlpfordt versucht die offensichtlich psychisch labile Person zu beruhigen, fragt, ob sie jemanden benachrichtigen dürfe. Beate Zschäpe sagt nicht viel, nur das Nötigste: «Ich bin Beate … es reicht, wenn Sie da sind und mir Ruhe und Sicherheit geben.»
Wahrscheinlich das erste Mal seit über 13 Jahren stellt sie sich einem fremden Menschen mit ihrem echten Namen vor.
Irgendwann stehen die beiden Frauen auf, Petra Mühlpfordt überredet Zschäpe, mit ihr einen Kaffee trinken zu gehen. Mit festem Griff klammert sich Zschäpe an Frau Mühlpfordts Ellenbogen, zusammen steuern sie das Außencafé des Kaufhof-Kaufhauses auf dem Hallmarkt an. Doch auch als sie sitzen und beide einen Kaffee bestellt haben, bleibt Zschäpe unruhig und fahrig.
«Sonst rauche ich eigentlich nicht.» Sie wühlt in ihrer Handtasche und steckt sich eine Zigarette an. Dann erzählt Zschäpe ihrer Retterin, dass sie aus Leipzig stamme und nur nach Halle zum Bummeln gekommen sei. Die beiden Frauen reden nicht viel, sie lauschen dem Glockenspiel des Roten Turms, der schräg gegenüber vom Café steht. Der Turm ist das Wahrzeichen von Halle an der Saale und richtet sich monolithisch 84 Meter vom Marktplatz in die Höhe. Stündlich spielen die 76 Bronzeglocken ein anderes Volkslied wie «An der Saale hellem Strande», «Am Brunnen vor dem Tore» oder «Die Gedanken sind frei».
Mittlerweile ist es Nachmittag geworden, und die Luft wird immer kühler, Petra Mühlpfordt möchte gern nach Hause. Ihr Mann würde sie vermissen, wenn er in der nächsten Stunde nach Hause käme.
Nachdem Beate Zschäpe die beiden Kaffees bezahlt hat, spaziert Frau Mühlpfordt dann trotzdem noch ein paar Minuten mit ihr durch die Fußgängerzone Große Ullrichstraße.
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