Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
selbstbewusster.
Zschäpe: «Der Uwe ist nicht mehr, der Uwe lebt nicht mehr.»
Mutter: «Was ist denn passiert?»
Zschäpe: «Der hat sich in die Luft gesprengt.»
Mutter: «Wie hat er sich denn in die Luft gesprengt?»
Zschäpe: «Was gestern passiert ist, in Verbindung mit Eisenach.»
Mutter: «Ähmm, was ist denn gestern in Eisenach passiert?»
Zschäpe: «Ja, das steht alles in Nachrichten. Schauen Sie doch nach.»
Mutter: «Was war denn gestern in Eisenach?»
Zschäpe: «Eisenach in Verbindung mit dem Banküberfall. Der einzige Grund, warum ich anrufe, ist, weil der Uwe euch sehr liebgehabt hat, und es war ihm wichtig, dass Sie das erfahren.»
An diesem Novembermorgen also verlieren die Eltern von Uwe Mundlos die Hoffnung und finden die Gewissheit. Es sind diese wenigen Sätze, die ihnen klarmachen: Ihr seit fast 14 Jahren vermisster Sohn ist tot.
Mutter: «Und was ist mit Uwe Böhnhardt?»
Zschäpe: «Der hat sich auch in die Luft gesprengt. Die Eltern habe ich bereits vorher angerufen. Die wissen es schon.»
Mutter: «Wirst du noch mal anrufen?»
Zschäpe: «Nein. Ich rufe nie wieder an und komme auch nie wieder zurück.»
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Die Flucht
Den ersten Wunsch ihrer beiden Komplizen hat sie mit den Anrufen bei den Eltern erfüllt. Sofort nach dem Auflegen des Hörers verlässt sie die Telefonsäule in der Rathausstraße 6. Das hat sie schon mal geschafft. Aber sie hat noch einen zweiten Auftrag, den sie auch gleich erledigen möchte.
Um eine mögliche Verfolgung durch die Polizei zu erschweren, geht sie nicht auf direktem Weg zurück zum Hauptbahnhof von Chemnitz. Ein Spürhund der Polizei wird später ihre einen Kilometer lange Route zum Bahnhof rekonstruieren. Demnach nahm Zschäpe einen Umweg, um noch durch eine Grünanlage zu gehen: den Park der Opfer des Faschismus.
Am Bahnhof angekommen, geht Zschäpe die Stufen zum Gleis 5 hinauf und besteigt wieder einen Regionalexpress. Diesmal lautet ihr Ziel Leipzig Hauptbahnhof. Aber auch hier sind Überwachungskameras und die Bundespolizei. Sie muss jedoch dringend etwas recherchieren. Als sie nach einer Stunde in der Bogenhalle von Europas größtem Kopfbahnhof ankommt, sucht sie als Erstes eine Internetverbindung.
Es gibt einen Menschen, dem sie noch vertrauen kann.
Im «Burger King» wird sie fündig und erwirbt an einem Münzautomaten einen sogenannten Surfcode. Mit diesem Guthaben kann sie sich für 1¼ Stunden ins Internet einloggen. Bis 11:57 Uhr macht sie davon Gebrauch. Sie recherchiert eine Telefonnummer in Jena und schreibt sie auf das Surfcode-Ticket: «667328 Oma».
Jetzt muss sie aber endlich noch ihren letzten Auftrag erfüllen und die Bekenner-DVDs mit dem «Paulchen Panther»-Video in die Post geben. Sie geht davon aus, dass alle Papiere der Gruppe im Haus verbrannt sind. Aber es existiert eine Art Testament: eine widerliche Verhöhnung der neun Migranten, die sie ermordet haben. Die DVDs in ihrer Tasche werden den Menschen erklären, dass diese Morde eine Botschaft hatten. Genauso wie der Phantasiename ihrer Gruppe, der sehr bedeutend und mächtig klingt und nicht nach drei verstörten Neonazis: «Nationalsozialistischer Untergrund». Die Videos sind Bekenntnis zu den Taten und Vermächtnis zugleich. Jetzt werden alle erfahren, was sie getan haben. Die Veröffentlichung soll Uwes und Uwes posthumer Triumph werden – das hat Beate Zschäpe ihnen versprochen.
Nachdem sie aus dem Internetautomaten automatisch ausgeloggt wurde, läuft sie über den vierspurigen Stadtring in die Leipziger Innenstadt. Hier steckt sie die Briefe aus ihrer Tasche in einen Briefkasten. Alle Umschläge waren mit jeweils einer Briefmarke der Edition «1100 Jahre Limburg an der Lahn» frankiert.
Die Post ist ab jetzt auf dem Weg. In den kommenden Tagen werden die Umschläge bei folgenden Empfängern eingehen:
PDS-Geschäftsstelle in Halle/Saale
Türkisches Generalkonsulat in München
Axel Springer Verlag in Halle/Saale
Television Zwickau GmbH in Zwickau
Westdeutsche Allgemeine Zeitung in Berlin
Ali-Paşa-Moschee, Türkisch-Islamischer Kulturverein e.V. in Hamburg
Nürnberger Nachrichten in Nürnberg
PDS-Kreisverband in Großenhain
Kommunistische Arbeiterzeitung in Nürnberg
Patria Versand in Kirchberg
Deutsch-Türkischer Kulturverein in Köln
Islamische Union Verein für Einrichtung und Unterstützung der Selimiye-Moschee in Völklingen
Insgesamt finden die Ermittler Umschläge mit 35 Adressen in den Trümmern der Frühlingsstraße. Doch die
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