Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Leben.
In diesem Moment rennt Beate Zschäpe im qualmenden Gebäude hinüber zur rechten Wohnung im ersten Obergeschoss, zu ihrer 89-jährigen Nachbarin. Sie ist bettlägerig, darum will sie die Frau warnen, dass das Haus brennt. Zschäpe klingelt an der Tür. Keine Reaktion. Zschäpe rennt weiter. Von ihrem Bett bis zur Haustür braucht die Nachbarin vier Minuten. Als sie an der Tür angekommen ist, steht niemand mehr davor. Der Besuch der alten Dame ist das Letzte, was Beate Zschäpe im Haus noch erledigt, bevor sie es für immer verlässt.
Die Bauarbeiter laufen die 200 Meter zurück zum Gebäude und können jetzt in die Wohnung im ersten Obergeschoss schauen, weil die Fassade weggesprengt ist. «In der Wohnung war es dunkel, und an verschiedenen Stellen des Fußbodens der gesamten Etage züngelten kleine Flammen, welche sehr schnell größer wurden», erinnert sich der Handwerker. Die Flammen sind ziemlich dünn, gelblich und circa 30 Zentimeter hoch – so wie die Flamme eines Bunsenbrenners. Nach dem ersten kurzen, dumpfen Knall folgt noch ein zweiter, hellerer Knall. Dabei gehen auch Fenster zu Bruch, das Glas zerspringt, und Scherben fallen herunter.
Beate Zschäpe sprintet aus dem rauchenden Haus. Links und rechts hat sie je ein Körbchen mit ihren beiden Hauskatzen, Lilly und Heidi, dabei. In ihre Handtasche hat sie eben noch 16 Briefumschläge mit DVDs des «Paulchen Panther»-Bekennervideos gesteckt. Alles muss jetzt schnell gehen.
In der Hektik lässt sie insgesamt 75000 Euro in der Wohnung zurück. Geld, das sie in den kommenden Tagen gut gebrauchen könnte.
«Was ist denn hier los?», fragt die Nachbarin Manuela Bauer, auf die Zschäpe auf ihrem Weg aus den Flammen stößt. Bauer wohnt in der Frühlingsstraße im Haus gegenüber.
Beate Zschäpe stoppt. Beide Frauen kennen sich nicht besonders gut. Darum ist die Nachbarin überrascht, als Zschäpe sie fragt: «Bei mir brennt’s, können Sie mal bitte kurz auf meine Katzen aufpassen?» Als die Nachbarin nickt, stellt Zschäpe die Katzenkörbe in die Einfahrt, wo Manuela Bauer gerade ihr Auto geparkt hat.
«Ach du Scheiße.» Zschäpe dreht sich ein letztes Mal um und sieht, dass bereits das halbe Haus in Brand steht. Sie kann nun nicht länger warten, jeden Moment wird die Polizei eintreffen. Sie rennt sofort weiter. In einem Garten erkennt sie eine andere Nachbarin. «Ruft die Feuerwehr!», zischt Zschäpe ihr im Vorbeirennen zu.
Beate Zschäpe läuft weg aus der Frühlingsstraße, stadteinwärts.
Schnell gehend, ja fast joggend versucht sie ab 15:19 Uhr auf ihrem Weg in die Stadt immer wieder eine Nummer zu erreichen. Nervös wählt sie einmal, zweimal eine Zahlenfolge mit ihrem roten Handy: Es ist der Mobiltelefon-Anschluss von André E. Beim dritten Anruf um 15:27 Uhr hat sie Erfolg und erreicht E. endlich. Kurz darauf wird eine SMS von E.s Mobiltelefon an seine Frau Susann E. gesendet. Später wird ein Polizeispürhund, ein sogenannter «Mantrailer», Beate Zschäpes Weg durch Zwickau nachverfolgen. Das Tier läuft zwei Kilometer durch die Stadt, bis zum Platz der Völkerfreundschaft. Dann reißt die Spur ab.
Die Ermittler gehen davon aus, dass André E. die flüchtende Zschäpe in der Nähe dieses Platzes eingesammelt hat. Denn als er den letzten Anruf von ihr erhält, ist sein Handy in der Funkzelle am Platz der Völkerfreundschaft eingebucht. Er kommt mit seinem schwarzen VW Golf und lädt Zschäpe ein. Sie fahren ins Zwickauer Umland, immer achtsam, ob Polizeiautos sie verfolgen.
Beate Zschäpe sagt später, sie habe in diesem Moment überlegt, ob sie sich auch umbringen, sich vor einen fahrenden Zug werfen soll. E. fährt sie wohl zum Zwickauer Hauptbahnhof.
Da so viele Menschen den Knall in der Frühlingsstraße gehört haben, geht der erste Notruf bereits um 15:05 Uhr bei der Polizei Zwickau ein – vier Minuten später ist die Feuerwehr vor Ort. Doch nach der Verpuffung können die Feuerwehrmänner nicht mehr viel von dem Haus retten. Sie löschen die Flammen, damit diese nicht auf andere Gebäude überspringen, aber das Haus muss später komplett abgerissen werden. Der Schaden beläuft sich auf mindestens 100000 Euro. Die 89-jährige Dame aus der Nachbarwohnung wird gerettet.
Relativ bald erfährt die Polizei von den herumstehenden Nachbarn, dass eine Bewohnerin aus dem brennenden Gebäude weggerannt ist.
Noch wissen die Polizisten im 200 Kilometer entfernten Eisenach nicht, dass ihre Ermittlungen wegen des
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