Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Thüringer Bratwürste, und aus dem Kassettenrekorder dudeln Schlagermelodien. Nur wer ganz genau hinhört, erkennt die ungewöhnlichen Texte.
Zur Melodie von «An der Nordseeküste» von Klaus & Klaus singen die «Zillertaler Türkenjäger»:
«An der Nordseeküste am arischen Strand
wollen wir keine Kaffer in unserem Land.»
Selbst am Strand haben sie den Rassismus im Gepäck. Keiner hindert sie daran, diese Lieder zu spielen. Erst recht nicht, wenn sie sich unter ihresgleichen fühlen. Den Geburtstag von Ralf Wohlleben feiern sie gemeinsam in dessen Wohnung, häufig trifft sich die Gruppe um das Trio auch im Garten von André K. Dann sitzen sie ums Lagerfeuer, essen Würste, trinken Bier und fühlen sich wie eine eingeschworene Gemeinschaft und als Verfechter des wahren Deutschland.
In dieser Zeit gibt es nicht nur am äußersten rechten Rand Stimmen, die glauben, spätestens mit der Wiedervereinigung müsse die deutsche Geschichte neu interpretiert und mit der NS-Vergangenheit abgeschlossen werden. Im September 1993 löst ein Interview von Helmut Kohls Wunschkandidat für das Bundespräsidentenamt bundesweite Diskussionen aus. Steffen Heitmann (CDU), der sächsischer Justizminister bleiben wird, sagt der Süddeutschen Zeitung unter anderem: «Die deutsche Nachkriegssonderrolle war ja in gewisser Weise eine Fortsetzung der angemaßten Sonderrolle der NS-Zeit. Das ist zu Ende. (…) Ich glaube, dass der organisierte Tod von Millionen Juden in Gaskammern tatsächlich einmalig ist – so wie es viele historisch einmalige Vorgänge gibt. Wiederholungen gibt es in der Geschichte ohnehin nicht. Ich glaube aber nicht, dass daraus eine Sonderrolle Deutschlands abzuleiten ist bis ans Ende der Geschichte. Es ist der Zeitpunkt gekommen – die Nachkriegszeit ist mit der deutschen Einheit endgültig zu Ende gegangen – , dieses Ereignis einzuordnen.»
Heitmann wird dafür vom Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, kritisiert, und der Jüdische Weltkongress bittet seine Mitglieder in 80 Ländern, gegen die Kandidatur Heitmanns zu protestieren. Bei einer Sitzung der CDU-Bundestagsfraktion antwortet der niedersächsische Abgeordnete Klaus-Jürgen Hedrich: «Ich möchte die jüdischen Repräsentanten warnen, vor dem Hintergrund des Antisemitismus den Holocaust gegen uns zu instrumentalisieren.»
Als die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth Heitmann vorwirft, er verharmlose die Nazivergangenheit, antwortet die Fraktion laut einem Spiegel -Bericht mit «Randale, Buhrufen, Hohngelächter».
Nach und nach steigt Uwe Mundlos in der Dreiergruppe zum Wortführer auf. Seine freie Zeit als Arbeitsloser nutzt er zum Lesen von Büchern über den Nationalsozialismus. Er beschäftigt sich mit den Massenmördern der NSDAP und wird Fan von Rudolf Heß. Hitlers Stellvertreter war bis zu seinem Tod 1987 in Berlin als Kriegsverbrecher inhaftiert. Unter jungen Neonazis gilt er als Märtyrer.
Mundlos’ Vater sucht in dieser Zeit öfter das Gespräch und hofft, seinen Jungen noch zur Vernunft bringen zu können. Er sagt zu ihm: «Mensch, Uwe, das ist doch Unfug, du kannst die Geschichte nicht zurückdrehen. Das sind Kindereien.» Aber Siegfried Mundlos’ Sohn ist erwachsen, die Argumente des Vaters verhallen.
1994 steht dann die Polizei das erste Mal vor der Tür von Familie Mundlos. Die Beamten haben einen Durchsuchungsbefehl dabei, weil sie Uwe Mundlos bei einer verbotenen Demonstration in Chemnitz aufgegriffen und die Visitenkarten mit dem Hitler-Porträt bei ihm gefunden haben. Für die Kriminalpolizei gilt das als Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole.
Die Eltern sind fassungslos. Vater Mundlos will nicht noch einmal erleben, dass Polizisten seine Wohnung durchsuchen. Er organisiert für den Sohn eine Wohnung in einem Dorf unweit von Jena. Viel Zeit verbringt Mundlos junior dort aber nicht.
Am 1. April 1994 wird Uwe Mundlos zur Bundeswehr eingezogen. Er kommt zum 6. Panzergrenadierbataillon 381 im thüringischen Bad Frankenhausen. Die nächsten zwölf Monate ist er Soldat. Hier trifft er andere junge Männer aus ganz Deutschland, die auch lieber in der Wehrmacht gedient hätten als in der Bundeswehr.
Besonders mit den Kameraden aus Sachsen versteht er sich gut. Über Skinhead-Konzerte in Chemnitz trifft er immer mehr Mitglieder des «Blood & Honour»-Netzwerks. Es hat sich nach den «Blut & Ehre»-Gravuren in den Fahrtenmessern der Hitler-Jugend benannt und gilt als das gefährlichste
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