Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
gelber Farbe die Worte «Lüge» und «Hetze» über 25 Meter hinweg auf Fototafeln der «Wehrmachtsausstellung» gepinselt. Diese Wanderausstellung mit dem Titel «Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–45» wird von Neonazis bekämpft. Sie zeigt Fotos, auf denen zu sehen ist, wie Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg unschuldige Zivilisten töten, und widerlegt damit das Image der Wehrmacht, anders als die politischen Kampfeinheiten von SS und SA nicht an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. An manchen Stellen hat der Kurator der Ausstellung jedoch schlampig recherchiert. Für Rechtsextreme wie Manfred Roeder ist das ein guter Vorwand, die gesamte Schau als «Lüge» zu diffamieren. Vor dem Amtsgericht Erfurt muss sich der 67-jährige Roeder jetzt für den Farbanschlag im Juni rechtfertigen. Im Sitzungssaal ist er nicht allein.
«Unsere Großväter waren keine Verbrecher» steht auf dem Plakat, das die jungen Unterstützer mit in den Sitzungssaal gebracht haben. Eine Gruppe von 15 jungen Männern hat sich auf den Besucherstühlen breitgemacht, um ihrem Idol Rückendeckung zu geben. Neben ihren glattrasierten Schädeln tragen die meisten Männer schwarze Bomberjacken, schwarze Stoffhosen und Springerstiefel.
Einige der Prozessbesucher sind aus Jena angereist. Es sind Führungskader des «Thüringer Heimatschutzes»: Ralf Wohlleben, André K., Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Vor allem Böhnhardt tritt vor dem Gerichtsgebäude äußerst aggressiv auf und brüllt linke Gegendemonstranten an.
Am Ende der Verhandlung verurteilt das Gericht Manfred Roeder wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 4500 DM.
«Im Stadion, gegenüber der Tribüne, Block E, in den Gängen liegen Schaumstoffmatten. Da sind Sprengsätze deponiert.» Das ist alles, was der unbekannte männliche Anrufer mit Thüringer Dialekt am Abend des 30. September 1996 sagt. Dann legt er auf.
Es ist 19:52 Uhr, als eine Polizeibeamtin die Drohung entgegennimmt. Die Nachricht versetzt die Polizei Jena in höchste Alarmbereitschaft. Im Stadion befinden sich zur gleichen Zeit 7800 Fußballfans. Es ist der bisherige Zuschauerrekord in dieser Saison.
Seit 20 Minuten läuft auf dem Ernst-Abbe-Sportfeld ein Montagsspiel der Zweiten Fußballbundesliga. Es ist der achte Spieltag, der Zehnte spielt gegen den Siebten der Tabelle, Traditionsverein Ost gegen Traditionsclub West. Der FC Carl Zeiss Jena trifft auf Eintracht Frankfurt. Die Partie wird vom Sportsender DSF im Fernsehen übertragen. Es wäre eine Katastrophe für Stadt und Verein, wenn eine Bombenexplosion Tausende von Menschen töten und womöglich auch noch live über die Bildschirme in ganz Deutschland flimmern würde.
Die Polizei muss schnell handeln. Sofort schickt sie einen Kollegen mit Sprengstoffsuchhund ins Stadion. Noch während des Spiels schnüffelt der Hund in den Gängen unter den Tribünen «C bis E». Er findet jedoch nichts. Eine halbe Stunde vor Spielende wird die Suche beendet.
Eine Woche später im selben Stadion: Nachwuchsfußballer des FC Carl Zeiss Jena trainieren. Es ist kurz nach 14 Uhr. Das Sonntagsspiel der E-Junioren am 6. Oktober ist gerade abgepfiffen worden, und eine Gruppe der Nachwuchskicker spielt noch Fangen und Verstecken unter den Tribünen. Durch eine offene Gittertür sind die Kinder in einen schmalen Lagergang unter den Tribünenblock «C bis E» geklettert. Drei von ihnen wollen sich in einer Lagernische zwischen Matten verstecken, die an der Wand lehnen. Dabei reißt ein Junge den Stapel mit den Matten mit seinem Ellenbogen um. Er entdeckt eine rot angemalte Kiste. Auf ihr steht in schwarzen Großbuchstaben: «Bombe».
«Herr Claus, kommen Sie mal», ruft ein Junge seinem Trainer zu. Auf Ober- und Unterseite des Kastens sind Hakenkreuze gesprüht worden, er erinnert an Munitionskästen der Nationalen Volksarmee. In der Kiste finden Kriminalbeamte einen grünen Kanister, in dem sie ein Metallrohr, Dämmwolle und Kieselsteine entdecken. Mehrere Drähte gucken aus dem Kanister.
Die Ermittlungen beginnen. Der Vorgang erhält den Namen «Stadionbombe», Aktenzeichen 0185-000030-96/1.
Am 1. November 1996 fahren Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe mit sechs weiteren Neonazis aus Jena ins ehemalige Konzentrationslager Buchenwald. An die Stelle also, wo die Nationalsozialisten in den dreißiger und vierziger Jahren 56000 Juden, Regimegegner und Homosexuelle ermordeten. Der Besuch einer Mahn- und Gedenkstätte wie des KZ
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