Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Abschätzig schauen sie auf die «Stadtglatzen» hinab, wenn sie am zentralen Eichplatz in der Innenstadt vorbeikommen und dort betrunkene Skinheads sehen, die sich auf dem Rummel amüsieren. Sie wollen anders sein als die «Prollskins», die das Image der Neonazis nach außen prägen: Saufen, Grölen, sinnlose Gewalt. Das Trio verachtet Skinheads, bei denen das Interesse an Alkohol die politische Motivation überragt.
Einmal kommt es wegen dieses Konflikts innerhalb der Naziszene sogar zu Stress zwischen den beiden Fraktionen. Nach einer Kneipentour in Jena landet eine Gruppe um Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in der Disko «F-Haus». Auf der Party hängen schon viele «Stadtglatzen» herum. Sie sind laut. Sie saufen. Sie beleidigen andere Gäste. Kurz: Sie wissen sich nicht zu benehmen. Als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt an dieser Gruppe vorbeikommen, lassen sie ihrer Arroganz freien Lauf. Es fällt ein verächtlicher Spruch. Sofort beginnt eine wilde Keilerei auf dem Parkettfußboden des «F-Hauses».
Mitten in der Prügelei zieht Uwe Böhnhardt plötzlich ein Messer, nimmt es in seine linke Hand und geht auf einen verfeindeten Skinhead zu. Uwe Mundlos sieht das und zieht seinen Kumpel an den Armen zurück. Sie verlassen die Party. Einer, der damals dabei war, sagt: «Jeder wusste, dass Böhnhardt zugestochen hätte.»
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«Thüringer Heimatschutz»
Silvester 1996. An diesen Jahreswechsel soll sich die gesamte Stadt erinnern. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe haben Großes geplant. Während es in Jena böllert und knallt, führen sie ihre Mission aus. Am 31. Dezember 1996 und am 2. Januar 1997 kommen Briefbombenattrappen in der Polizeidirektion Jena, der Lokalredaktion der Thüringischen Landeszeitung und der Stadtverwaltung Jena an. Die falschen Bomben bestehen aus einer Styroporplatte, Drähten, einer Batterie und Knetmasse.
«Von Lüge und Betrug haben wir genug! Das wird der letzte Scherz sein. Ab 97 haut es richtig rein!!!», steht auf einem Zettel, den sie mit der Attrappe an die Zeitung geschickt haben. In dem Bekennerschreiben, das an die Mitarbeiter der Stadt geht, steht: «Auge um Auge, Zahn um Zahn. Dieses Jahr kommt Dewes dran!!!» Richard Dewes ist damals Innenminister in Thüringen. In den Briefen bedrohen die Absender das Leben von Personen des öffentlichen Lebens. Darunter auch das von Ignatz Bubis, damals Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Sofort nach Bekanntwerden der Drohungen beginnen Ermittlungen gegen mehrere Angehörige des rechtsextremen «Thüringer Heimatschutzes». Polizisten durchsuchen im Januar 1997 Wohnungen von Mitgliedern der rechten Szene und vernehmen Verdächtige. Am 28. Januar filzen Beamte auch die Jenaer Wohnungen und Zimmer von Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt. Obwohl bei einigen Neonazis rote und weiße Farbe gefunden wird, führt keine belastbare Spur zu den Bombenbastlern.
Scheinbar unbeeindruckt von den laufenden Ermittlungen provozieren Böhnhardt und Mundlos weiter die Polizei. Nur zwei Tage nach dem Versand der Briefbombenattrappen kreuzen sie vor der Polizeidirektion Jena in der Straße «Am Anger» auf. Vom Hof des Reviers versuchen sie, die Dienststelle auszuspähen. Als sie dabei von Polizisten erkannt werden und festgenommen werden sollen, prügeln sie sich mit den Beamten. Mundlos und Böhnhardt haben sich bereits so weit vom Boden des Gesetzes entfernt, dass sie den Staat direkt angreifen.
Kurze Zeit darauf kreuzt Böhnhardt schon wieder bei der Polizei auf. Er will eine Demonstration für den Februar 1997 in Jena anmelden. Das Thema lautet: «Für eine schärfere Kontrolle der Polizei.»
Denn die wachsende Aufmerksamkeit der Polizei macht den Jenaer Neonazis zu schaffen. Sie fühlen sich schikaniert vom «Polizeistaat». Der bundesweite Druck, mit dem die Polizei endlich gegen rechte Täter vorgeht, um diese Gewalt in den Griff zu bekommen, auch im Osten, zeigt Wirkung. Wenn sich die Neonazis auf Hassdemonstrationen nicht an Regeln halten, bekommen sie Schlagstöcke ins Gesicht, behauptet ein Neonazi, der dabei gewesen sein will. Einmal seien Rechte aus Jena nach einer Festnahme in Neuhaus am Rennweg in einen Hundezwinger aus Metall gesperrt worden, während der Deutsche-Polizei-Schäferhund vor dem Käfig gewacht habe.
«Wir hatten das Gefühl, dass wir damals Freiwild waren», sagt Christian K., der ehemalige Sänger des rechtsextremen Liedermacherduos «Eichenlaub». Die Neonazis haben sich schon so daran
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