Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Sachsenhausen oder des KZ Buchenwald war in der DDR «gesellschaftliche Praxis». Fast jeder Schüler, der sich auf die Jugendweihe vorbereitete, musste sich ein Konzentrationslager ansehen. Jetzt hat das Trio andere Motive.
Schon äußerlich seien die drei bei dem Besuch eindeutig als Rechtsextreme zu erkennen gewesen, sagt der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Volkhard Knigge, der dpa. Sie wollten das Gelände in SA-Uniform betreten. «Von solchen Leuten ist nicht anzunehmen, dass sie der Opfer des Nationalsozialismus gedenken wollen – im Gegenteil.» Im Gästebuch der KZ-Gedenkstätte hinterlässt am selben Tag ein «Uwe» – wahrscheinlich Mundlos – einen Eintrag:
«Ich bin sehr stark enttäuscht über die mangelnde Tolleranz und das mangelnde verständnis, welches hier deutschen Besuchern entgegengebracht wird. Leider wird zu oft das Lager II mit seinen Verbrechen vergessen. Buchenwld ist nicht nur eine Stätte der jüdischen Kultur.» (Fehler im Original)
Das Trio erhält lebenslanges Hausverbot.
In einer KZ-Gedenkstätte mit SA-Uniform aufzutreten, zeigt die menschenverachtende Gesinnung, die die drei nun bereits verinnerlicht haben – und es zeigt eine Eskalation der Provokation gegenüber öffentlichen Einrichtungen. Es geht ihnen längst nicht mehr nur um Winzerla. Am Volkstrauertag, ein paar Tage darauf, hält die Polizei den Hyundai von Uwe Böhnhardt an. Die Beamten durchsuchen das Auto und finden ein ganzes Waffenarsenal: Schlagstock, Faustkampfmesser, Gaspistole, CO 2 -Treibpatrone, Silvesterböller, Reizgaspatrone, Messer, Luftdruckpistolen, einen angeschliffenen Wurfstern, zwei Magazine mit 15 Gaspatronen, eine Schreckschusspistole und mehrere Handbeile. Zur «Abwehr von Gefahren» werden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe vorläufig festgenommen.
Die Freizeit verbringt das Trio jetzt fast ausschließlich in der rechten Szene. Irgendwo gibt es immer eine Demonstration, eine Sonnenwendfeier, eine «Tagungswoche» mit germanischem Sechskampf, ein «Wikingerfest», ein Fußballspiel zwischen rechtsextremen Mannschaften oder ein Konzert, zu dem sie fahren. Egal ob Neuhaus am Rennweg, Lüneburger Heide, Herleshausen, Worms, Schneverdingen, München, Nürnberg oder Chemnitz – die drei sind oft vor Ort.
Meist sind sie in größeren Gruppen mit mehreren Autos unterwegs. An eine dieser Touren kann sich ein Beifahrer noch gut erinnern. Nach einem Kneipenabend im Wald bei Saalfeld, an dem ordentlich Bier geflossen ist, will er zusammen mit Uwe Böhnhardt noch zurück nach Jena. Sie steigen in Böhnhardts roten Hyundai und fahren los. Mitten auf der leeren Landstraße bremst Böhnhardt plötzlich, kramt im Handschuhfach und holt ein Blaulicht heraus. Nachdem er das Polizeisignal auf das Dach seines Autos montiert hat, heizt der alkoholisierte Böhnhardt mit halsbrecherischem Tempo über die Straßen, bis sie angekommen sind. «Böhni war unberechenbar, man wusste nie, was er als Nächstes tat.»
Immer mehr rücken der Staat und die Polizei als sein Repräsentant in den Fokus des Trios. Seit einiger Zeit notieren sich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Autokennzeichen. Jeder Neonazi in Jena weiß, dass er es an einen der beiden melden muss, sobald ihm das Auto eines Zivilfahnders auffällt. In einer Excel-Tabelle sammelt Mundlos auf dem Computer in seiner Wohnung die Kennzeichen der neutralen Einsatzfahrzeuge. Später findet die Polizei eine ausgedruckte Liste mit 74 Kennzeichen, die penibel nach Orten sortiert sind. Neben «Kennzeichen» und «Fahrzeugtyp» hat Mundlos manchmal auch Bemerkungen zu den Autos der «Zivil-Bullen» notiert: «LKA», «Hundewagen», «getönte Scheiben» oder «RTL-Aufkleber».
Ende 1996 tritt ein Star der braunen Szene in Thüringen auf: Der Liedermacher Frank Rennicke hat sich für ein Konzert in einem Gasthaus angesagt. Natürlich sind auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt dabei, als Rennicke mit seiner Gitarre auf die Bühne tritt und Lieder aus Alben wie «Der Väter Land – Lieder für Familie, Volk und Vaterland», «Sehnsucht nach der Heimat» oder «Lieder gegen die Zensur» anstimmt. Die Texte seiner Songs sind meist rassistisch, revisionistisch oder schüren Ausländerhass. Aus diesem Grund sind einige seiner Lieder auf dem Index.
Immer deutlicher heben sich die drei in diesen Wochen und Monaten von der Neonaziszene in Jena ab. Sie fühlen sich als die Elite der Rechten in der Stadt, wenn nicht gar in ganz Thüringen.
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