Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Neonaziorganisationen «Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front» kennen. 1993 wird der Verein des Neonazis Michael Kühnen vom Bayerischen Innenministerium verboten. Zurück in Thüringen, organisiert Tino Brandt ein Rechtsrock-Konzert und ist bei der Anti-Antifa aktiv.
Der Begriff «Thüringer Heimatschutz» soll vor allem öffentlich nach etwas Großem, Bedeutendem klingen. Er ist eine Marketingidee, um dem rechten Freundeskreis Respekt zu verschaffen. Ähnlich wie später der Begriff «Nationalsozialistischer Untergrund» macht der Namen aus ein paar Jugendlichen plötzlich eine politische Gruppe, die von Polizei und Presse ernst genommen wird – das schmeichelt dem Supermarktkassierer Tino Brandt.
Um markige Sprüche ist er nicht verlegen. Einem britischen Journalisten sagt er vor der Kamera: «Adolf Hitler war ein großer Deutscher, genauso wie Friedrich der Große.» Er weiß genau, was man nach deutschem Recht noch sagen darf und was nicht. Und er kennt die Regeln der Medien. Um den Ruf einer mächtigen, straff organisierten Kameradschaft zu festigen, inszeniert Brandt für einen Fernsehsender einmal sogar Wehrsportübungen im Wald. In dem Beitrag sieht man Nachwuchsnazis, die in Tarnanzügen durch das Unterholz robben. «Das meiste war nur Show», sagt einer, der damals dabei war. Aber Tino Brandt nimmt auch an Schießübungen der rechten Szene teil: Nach Auskunft des Thüringer Innenministeriums wurde er 1995 dabei beobachtet, wie er mit einer Kurzwaffe auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz der Roten Armee in Milbitz Schüsse abfeuerte.
Der «Thüringer Heimatschutz» organisiert Skin-Konzerte, Wikingerfeste und Demonstrationen. Unter dem Motto «Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte» marschieren die Mitglieder zum Beispiel durch Jena. Außerdem pappen sie in Ostthüringen Aufkleber mit Sprüchen wie «Keine Macht den Zecken» auf Laternen und Litfaßsäulen. Und manchmal veranstaltet Tino Brandt auch Schulungen. Redner dozieren über den Germanenkult, und Rechtsanwälte erklären, wie man sich bei Hausdurchsuchungen gegenüber der Polizei verhalten soll.
Die Hauptaktivität des THS aber waren Brandts «Mittwochsstammtische». Anfangs in Gaststätten in Rudolstadt und Gorndorf, später in der Kneipe «Heilsberg» in Heilsberg. Hier findet die Polizei bei einer Razzia im Oktober 1997 das bis dahin größte illegale Waffenlager Thüringens. Bis zu 160 Mitglieder zählt der Thüringer Verfassungsschutz Ende der neunziger Jahre beim «Thüringer Heimatschutz». Die Gruppe gilt als mitgliederstärkste und militanteste Neonaziorganisation in Thüringen.
Unter den Anhängern sind auch sechs Mitglieder der «Kameradschaft Jena»: Holger G., Ralf Wohlleben, André K. – und das Trio Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe. In einem Zeitschrifteninterview erinnert sich Tino Brandt an die drei: «Die kamen damals in der Gründerzeit des ‹Thüringer Heimatschutzes› mit einigen anderen jungen Leuten aus Jena immer zu uns nach Rudolstadt. Möglicherweise, weil sie hier genau auf die kameradschaftliche Atmosphäre stießen, die es in Jena nicht gab. Bei uns musste man sich nicht in der Kälte zwischen den Plattenbauten herumdrücken.»
Brandt sagt heute, dass Mundlos «nicht gerade der Dümmste» gewesen sei, «leicht Anschluss gefunden und immer gelabert» habe, während Böhnhardt sich bei Diskussionen zurückhielt. «Sein Fachgebiet waren eher Waffen. Er war ein Waffennarr.» Beate Zschäpe fällt durch ihre stramm nationale Gesinnung auf, «hat aber nie viel gesagt». Schon damals sind die drei «unzertrennlich», sagt Brandt. Innerhalb des THS sieht sich die Troika bald als «elitärer Zirkel», erinnert sich jemand, der damals dabei war. «Die drei waren von unserer Sache überzeugt, Nationalsozialisten.» In einer Kaderbesprechung werden Böhnhardt und Mundlos 1997 als «harter Kern» des THS bezeichnet.
Was sie damals jedoch nicht wissen können: Ihre Treffen stehen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Ihr Anführer selbst, Tino Brandt, arbeitet seit 1994 als Informant Nummer 2045 für das Thüringer Landesamt. Sein Deckname ist «Otto». Bis zum Jahr 2001 soll er für seine Spitzeltätigkeiten insgesamt 200000 DM von den Agenten des Dienstes bekommen haben.
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Fahndung
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