Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
gewöhnt, von den Sicherheitsbehörden in Ruhe gelassen zu werden, dass ihnen diese Kontrollen des Staates nun wie eine Jagd auf ihre Szene vorkommen.
Doch die Taten der Jenaer Szene und des Trios sind noch lange nicht so radikal wie die anderer Gruppen oder auch von Vorbildern wie Manfred Roeder oder Karl-Heinz Hoffmann. Aber in der Zeitung lesen die Jenaer Neonazis regelmäßig, wie andere Rechtsextremisten morden. 1995 und 1996 bringen Neonazis in Deutschland 22 Menschen um.
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt glauben, politisch Verfolgte zu sein. Die von ihnen selbst provozierten Maßnahmen der Polizei und des Verfassungsschutzes sind in ihren Augen eine offene Diskriminierung durch das «Regime», den Staat. Sie denken, dass diese «Verfolgung» ihre «Gegenwehr» rechtfertigt. Damit provozieren sie aber eine noch härtere Reaktion des Staates. Die Jugendlichen radikalisieren sich weiter.
Auch im Falle von Beate Zschäpe könnte die staatliche Kontrolle dazu beigetragen haben, dass sie sich mehr und mehr radikalisiert. Die Mutter von Zschäpe sagt: «Meine Tochter erzählte damals, dass die drei mit dem Auto unterwegs gewesen sind. Sie wurden von der Polizei angehalten und aus dem Auto gezerrt und auf die Straße geknallt. Dann wurden sie festgenommen und auch über das Wochenende in Gewahrsam behalten. Dort wäre wohl der Uwe zur Toilette gegangen und sei blutig wiedergekommen. Das Ganze war für Beate ein großer Schock, vielleicht war es für sie ein Auslöser.»
Auch der ehemalige Neonazi Christian K. kann sich an ähnliche Erlebnisse erinnern. Mitte der neunziger Jahre verbreitet sich in der Szene das Gefühl, dass die Nazis von der Mitte der Gesellschaft immer massiver abgelehnt werden. «Wir spürten jeden Tag, dass die Gesellschaft uns ausspuckt.» Aus den Festnahmen, den Hausdurchsuchungen und den ständigen Kontrollen leiten einige militante Rechte ab, dass sie Outlaws seien, zu Unrecht verfolgt. Daraus erwächst ihr Hass auf den «Polizeistaat», den es zu bekämpfen gelte.
In ihrem dramatisch verzerrten Weltbild sind sie jetzt Rebellen. Feinde des Systems. Sich zu wehren, ist für sie das Mindeste – im Notfall auch mit Gewalt.
Uwe Böhnhardt betritt am 6. Januar 1997 das Ordnungsamt, an das er vor sechs Tagen erst eine Bombenattrappe gesandt hatte. Er will sich erkundigen, welche Schusswaffen ein Bürger mit sich führen darf. Kann die Waffe geladen sein, oder muss das Magazin entfernt werden?
Im April 1997 muss Uwe Böhnhardt vor Gericht erscheinen. An der Puppe mit den Davidsternen, die er vor einem Jahr von einer Autobahnbrücke an der A 4 hat baumeln lassen, haben die Ermittler seine Fingerabdrücke gefunden. Außerdem haben die Polizisten bei einer Hausdurchsuchung CDs mit Rechtsrock in seinem Zimmer gefunden. Ein Telefonat ist abgehört worden, in dem er einem Bekannten eine der CDs zum Verkauf anbietet. Das Gericht wirft Uwe Böhnhardt Volksverhetzung, Störung des öffentlichen Friedens und einen versuchten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr vor. Darum wird er am 21. April. 1997 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil wird nicht vollstreckt. Der Anwalt von Böhnhardt geht in Berufung. Erst im Oktober 1997 wird es zur endgültigen Verhandlung kommen.
Drei Tage später ist das Urteil Thema beim Stammtisch des «Thüringer Heimatschutzes» (THS) im thüringischen Friedebach, zu dem Uwe Böhnhardt allein fährt. Auch in der THS-Kneipe «Heilsberg» tritt Böhnhardt wenig später bei einem anderen Stammtisch des «Heimatschutzes» auf. Im Schlepptau hat er Beate Zschäpe.
In der Nacht des 24. Mai 1997 ziehen 600 Burschenschaftler mit einem Fackelzug durch die Innenstadt von Jena. Als sie am Burschenschaftsdenkmal ankommen, singen sie das «Lied der Deutschen»: alle drei Strophen. Das Singen der ersten und zweiten Strophe der deutschen Nationalhymne wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten kurzzeitig verboten; bei Staatsempfängen oder Fußballländerspielen wird seitdem nur noch die dritte Strophe gesungen.
Die politische Heimat von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ist mittlerweile der «Thüringer Heimatschutz» geworden, eine Gruppe, die Tino Brandt aus den Treffen der «Anti-Antifa Ostthüringen» heraus gegründet hat. Brandt war kurz nach der Wiedervereinigung nach Regensburg gezogen und hatte in einem Supermarkt eine Lehre als Einzelhandelskaufmann begonnen. In Bayern lernt Brandt Mitglieder der
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