Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
und sie haben jetzt viel freie Zeit, die sie vielleicht zum Basteln von Bombenattrappen nutzen. Oder zur Produktion des rassistischen Gesellschaftsspiels «Pogromly», das die Polizei nach ihrer Flucht im Zschäpes Wohnzimmer unter der Couch finden wird. Sicher ist, dass Beate Zschäpe die freien Tage nutzt, um «Kampfgefährten» im Gefängnis zu besuchen.
Sie weiß, wie sie die rechte Szene unterstützen kann. Sie engagiert sich gemeinsam mit Uwe Mundlos in der HNG, der «Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.». In den neunziger Jahren organisieren sich bundesweit 600 Neonazis in der HNG, um rechtsextreme Straftäter während ihrer Haftzeit zu unterstützen. Noch nicht verurteilte Rechtsextreme senden Briefe oder besuchen die «politischen Gefangenen» in den Gefängnissen der Republik. Der Hilfsverein will die Kameraden vor allem ideologisch bei der Stange halten und sie zu Märtyrern aufbauen. Die NPD gibt die Parole aus, «nationale Straftäter» sollten in den eigenen Reihen resozialisiert werden.
Für Angehörige der späteren Generation der linksextremistischen Rote-Armee-Fraktion (RAF) war die Unterstützung von politischen Gefangenen in den siebziger Jahren der Einstieg in den Terrorismus gewesen.
2011 wird die rechte HNG vom Bundesinnenminister verboten, weil sie verfassungsfeindlich ist. Doch 1997 ist es noch legal, sich für die HNG zu engagieren. Und so fahren Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und ein dritter Neonazi aus Jena am 20. September 1997 die 140 Kilometer ins sächsische Waldheim. Hier sitzt der Straftäter Torsten S. in der Justitzvollzugsanstalt ein. Auch sein Name steht auf der «Gefangenenliste» der HNG, die 1997 genau 46 «politische Gefangene» aufführt, die Kontakt wünschen. Über dem Namen zeigt ein Foto Rudolf Heß, den «Märtyrer des Friedens». Regelmäßig wird Zschäpe und Mundlos diese Liste zugeschickt.
Dreimal besucht das Trio den Kameraden Torsten S. 1997 im Gefängnis. Bei S. hatte Uwe Mundlos bereits drei Jahre zuvor übernachtet, als er für einen Heß-Gedenkmarsch in der Stadt war. Mittlerweile haben er und Uwe Böhnhardt viele Kontakte in Chemnitz. Über das «Blood & Honour»-Netzwerk freunden sie sich 1997 mit Jens S. an, dem Herausgeber des Nazi-Fanzines «Foier frei!». Die Verbindungen nach Sachsen werden sich für sie knapp ein halbes Jahr später auszahlen.
Über der HNG-Gefangenenliste steht der Satz: «Denkt daran: Gerade in der heutigen Zeit könntet Ihr die Nächsten sein!»
Mitte Oktober 1997 setzt sich der zuständige Kriminalhauptkommissar Georg Taßler vom Terrorismusreferat des Landeskriminalamtes Thüringen an seinen Schreibtisch in Erfurt und notiert auf drei Seiten alles, was die Ermittler bis jetzt über die möglichen Bastler der Bombenattrappen von Jena wissen. Er überschreibt seinen Bericht mit «Zusammenfassung der bisherigen Ermittlungsergebnisse», Aktenzeichen: 1483-000132-97/9.
Seine Kollegen und er kommen darin zu dem Ergebnis, dass die Indizien auf Personen aus dem Umfeld der «Kameradschaft Jena» deuten. Als Täter kommen für sie acht Menschen in Betracht, unter ihnen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.
Die Indizienlast ist erdrückend.
Die «unkonventionellen Sprengvorrichtungen», die in den vergangenen Monaten vor dem Stadion, vor dem Theater, vor der Polizei Jena, der Lokalredaktion der Thüringischen Landeszeitung und dem Ordnungsamt Jena gefunden wurden, ähneln sich alle stark. Die verwendete Knetmasse in den Bombenattrappen ist in allen Fällen die gleiche.
Die Täter scheinen zudem einen Bezug zum ehemaligen Carl-Zeiss-Kombinat zu haben, da der gefundene Kanister und die Holzkiste am Stadion aus diesem Betrieb stammen. Der Vater von Uwe Böhnhardt arbeitet bei einem der Nachfolgeunternehmen des Kombinats, den Schott-Glaswerken. Außerdem wohnt ein ehemaliger ABM-Mitarbeiter der Firma im Nachbarhaus der Böhnhardts – er hat solche Kanister aus der Konkursmasse des ehemaligen Volkseigenen Betriebs mitgenommen und weiterverkauft.
Wild wuchert das Gras, ein alter Holzschuppen verfault in einer Ecke, alte Stühle stehen herum. Die Parzelle in der Kleingartenanlage ist nichts Besonderes, dennoch herrscht viel Betrieb im Garten, egal ob am Wochenende oder an Werktagen. Am Anfang kommen die Neonazis nur, wenn sie in Ruhe mal Bratwürste auf den Grill legen wollen. In den Sommermonaten 1997 wird der Garten von Tino Brandt am Fuße der Leuchtenburg in der Nähe von Kahla
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