Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
dunkel ist, sehen sich Mundlos und die Gruppe wieder. Eine Polizeieskorte chauffiert die Thüringer Neonazis bis zur hessischen Landesgrenze. Noch vor Mitternacht sind sie wieder in Jena.
Hat Uwe Mundlos damals bereits realisiert, dass die Befugnisse der Polizei an den Grenzen der Bundesländer aufhören? Und hat das Trio deshalb später bewusst seine Morde vor allem in Westdeutschland verübt und die Banküberfälle ausschließlich im Osten? Denn so erschwerten sie es den Ermittlungsbehörden in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Hamburg, einen Zusammenhang herzustellen mit den Raubüberfällen in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.
Am Dienstag, dem 2. September 1997, macht ein Neunjähriger in Jena eine spannende Entdeckung. Der Junge spielt am Nachmittag auf dem Theatervorplatz in der Innenstadt. Er ist in der Neonaziszene als Treffpunkt von Alternativen verschrien. Beim Herumstrolchen bemerkt der Junge eine Plastiktüte, die zwischen einem Mülleimer und einer Wand eingeklemmt ist. Was mag da wohl drin sein? Der Junge zieht die Tüte hervor und steckt seine Nase hinein. Als Erstes kommt ihm starker Alkoholgeruch entgegen. Er verzieht die Nase, seine Neugier aber ist noch gestiegen. Er wühlt in der Tüte und findet einen leeren Flachmann. Außerdem ist noch ein größerer viereckiger Gegenstand in der Tüte: ein alter Koffer.
Jemand hat ihn rot angemalt. Auf Vorder- und Hinterseite prangt jeweils ein schwarzes Hakenkreuz in einem weißen Kreis – die Bemalung sieht aus wie die NSDAP-Fahnen im Dritten Reich. Der Junge öffnet den Koffer und sieht ein Metallrohr, das in einen Lappen eingewickelt ist. Aus der einen Seite des Rohres gucken zwei Drähte heraus. Die merkwürdige Konstruktion ist so fest in dem Koffer verankert, dass der Junge es nicht schafft, sie herauszunehmen. Er ist fasziniert von seinem Fund. Aufgeregt läuft er nach Hause.
Als er seiner Mutter von dem Koffer erzählt, glaubt sie, er habe eine Theaterrequisite gefunden. Erst vor wenigen Tagen hat auf dem Platz ein Konzert stattgefunden. Sie schickt den Jungen und seine ältere Schwester zurück, sie sollen die Tüte im Theater abgeben. Ein Beleuchter nimmt sie entgegen, schenkt dem Fund aber wenig Aufmerksamkeit. Als der technische Leiter des Theaters am nächsten Morgen die Tüte öffnet, ist er geschockt: Der Junge hat eine Bombe gefunden.
Die Polizei stellt später fest, dass es sich um eine Art Attrappe handelt, allerdings mit echtem Sprengstoff. Die Kriminaltechniker finden ein Metallrohr, Drähte, Knetmasse, einen funktionsfähigen Zünder und zehn Gramm TNT – aber es fehlt die Energiequelle, um die Bombe zu zünden.
In den Monaten rund um den Zeitpunkt, als Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Kofferbombenattrappe vor dem Theater platzieren und sich regelmäßig mit anderen Anhängern des «Thüringer Heimatschutzes» treffen, diskutiert Deutschland über die SS und die Opfer des Holocaust. Im Mai 1997 ist in der New York Times eine ganzseitige Anzeige des American Jewish Committee erschienen. Darin ist links das Foto eines lettischen SS-Veteranen zu sehen, der auf einer öffentlichen Veranstaltung den Hitler-Gruß zeigt. Das rechte Foto auf der Anzeige bildet einen lettischen Holocaust-Überlebenden ab, der verarmt in seiner Wohnung in Riga lebt. Die Schlagzeile über den Bildern lautet: «Wer bekommt eine Rente von der deutschen Regierung?»
Seit der Auflösung der Sowjetunion dürfen Veteranen der Waffen-SS in Lettland und in ganz Osteuropa eine sogenannte Kriegsopferversorgung beantragen. Ein SS-Veteran sagt in einem Interview mit dem Magazin Panorama in der ARD: «Danke, Deutschland, danke, dass Sie uns nicht vergessen haben. 40 Jahre lang waren wir hier nichts.» Drei Jahre später berichtet Panorama , dass mehrere nachweisliche Massenmörder ebenfalls eine Sonderrente erhalten. Zwischen 1993 und 1997 versuchen das American Jewish Committee und die Jewish Claims Conference, eine Kompensation für osteuropäische Holocaust-Opfer zu erwirken. Erst nach Erscheinen der Anzeige in der New York Times und einem offenen Brief von 82 US-Senatoren an Helmut Kohl beschließt die Bundesregierung eine Versorgung der jüdischen Holocaust-Opfer in Osteuropa.
Uwe Böhnhardt verliert Anfang September 1997 wieder einmal seinen Job, diesmal als Fassadendämmer in Jena. Nur fünf Tage arbeitet er bei der WDVS-Reko-Bau GmbH in Jena. Genau in diesen Tagen wird auch Beate Zschäpe wieder arbeitslos. Böhnhardt
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