Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
mitnehmen.
Am 8. Juni 2005 mieten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Zwickau einen Škoda-Octavia-Kombi und fahren nach Nürnberg. Zu Hause haben sie einen Stadtplanauszug für Nürnberg ausgedruckt, im Laderaum sind zwei Mountainbikes verstaut. In Bayern angekommen, fahren sie auf ihren Rädern durch die Stadt. Auf dem Stadtplan haben sie sieben Ziele von «X1» bis «X7» markiert. Auf einem separaten Zettel stehen die Adressen zu den Zielen. Als Position sieben ist handschriftlich vermerkt: «X7 Scharrer Str neben Post Imbiß G10.»
Am nächsten Morgen schließt İsmail Yaşar gegen 8 Uhr seinen Imbiss auf, schaltet den Dönerspieß-Motor an und stellt einen kleinen Campingtisch und zwei gestreifte Campingstühle auf. Morgens ist noch nicht viel los, aber ein paar Kunden kann er schon bedienen. Gegen 9:20 Uhr fährt ein guter Bekannter mit dem Auto vorbei und winkt Yaşar zu.
İsmail Yaşar lebt schon sein halbes Leben in Franken. Als 23-Jähriger ist er aus dem Südosten der Türkei, aus Alanyurt in der Nähe der syrischen Grenze, nach Deutschland ausgewandert. Er heiratet eine deutsche Frau und erhält eine Aufenthaltserlaubnis. Später lässt er sich scheiden. Im Jahr der Wiedervereinigung heiratet er erneut. Kurz darauf kommt sein Sohn zur Welt.
Anfangs schlägt sich Yaşar als selbständiger Händler für türkische Spezialitäten durch, gründet mit seiner Frau eine Änderungsschneiderei und ein Geschäft für neue und gebrauchte Kleidung, um dann schließlich im Jahr 2004 den Dönerstand zu übernehmen.
İsmail Yaşar, mittlerweile 50, ist ein sehr traditioneller Mann, engagiert sich im türkischen Freizeitverein Nürnberg Süd e.V. Er gilt als freundlich und fleißig. In seinem Gesicht trägt er einen mächtigen schwarzen Schnauzbart, der an den Bart des ehemaligen Handballbundestrainers Heiner Brand erinnert. Im Viertel St. Peter ist er beliebt, den Kindern gibt er auch mal ein Eis aus, versorgt sie mit warmem Mittagessen, wenn die Eltern bei der Arbeit sind. Man sagt, er sei ein guter Zuhörer, wenn Kunden mit Problemen in den Imbiss kommen.
Es ist 9:35 Uhr, İsmail Yaşar setzt sich kurz auf einen der Campingstühle vor seinem Laden, um ein wenig zu pausieren. Zur gleichen Zeit beobachtet eine Frau 300 Meter entfernt, wie zwei männliche Radfahrer an einer Litfaßsäule halten und etwas in einem Stadtplan suchen.
Gegen 9:55 Uhr tritt ein junger Mann mit weißer Handwerkerkleidung an das Fenster des Containers, bestellt einen Döner Kebab und geht sofort wieder.
Nur zwei Minuten später kommen zwei Männer. Es sind Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Sie steigen von ihren Trekkingfahrrädern und lehnen sie an die Bude. Die beiden tragen Rucksäcke, einer der beiden holt aus seinem eine gelbe Plastiktüte heraus. İsmail Yaşar steht hinter seinem Verkaufstresen.
Sofort schießt einer der Männer zweimal auf Yaşar. Der erste Schuss streift den Türken nur und durchlöchert die Tür hinter ihm. Der zweite Schuss trifft ihn dafür umso heftiger. Die Patrone dringt oberhalb des rechten Ohres in seinen Kopf ein und tritt unterhalb des linken Ohres wieder aus. İsmail Yaşar stürzt rückwärts zu Boden. Der Täter schießt noch dreimal auf sein wehrloses Opfer, die Kugeln treffen den Oberkörper und durchsieben sein Brustbein, die linke Schulter, seine Rippen, die Halswirbelsäule, die rechte Achsel und den Halsbereich. Blutüberströmt bleibt İsmail Yaşar hinter seiner Ladentheke liegen.
Die fünf Schüsse sind so laut, dass verschiedene Ohrenzeugen sie hören.
Als um 10:04 Uhr ein Passant am Imbiss vorbeiläuft, ducken sich die beiden Täter hinter der Theke ab. Der Mann ärgert sich über die zwei Trekkingräder, die in den Gehweg hineinragen.
In den nächsten Minuten bemerken mehrere Zeugen die beiden Fahrradfahrer, die aus Richtung des Tatorts kommen.
Gegen 10:30 Uhr beobachtet ein Mann auf dem einen Kilometer entfernten Parkplatz am Wöhrder See, wie zwei Männer ihre Fahrräder in einen schwarzen Van einladen.
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Die Presse recherchiert I
Am 11. Juni 2005 berichtet die Nürnberger Zeitung über die Mordserie und ihre möglichen Hintergründe: «Die am meisten favorisierte Theorie ist ebenfalls der Kriminalgeographie entlehnt. In Nürnberg startete die Mordserie, hier ist auch der Schwerpunkt mit drei von sechs Morden. Geht es um Drogendepots bei biederen und somit unverdächtigen Geschäftsleuten, die durchaus ein paar Euro nebenbei brauchen können? Einiges spricht für die
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