Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
alles aussehe in der neuen Wohnung.»
Schon lange vor Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt war die afghanische Familie in die Polenzstraße gezogen. Vier Jahre wohnte die Familie mit ihren Kindern zwei Etagen über der Zelle. Der Sohn erinnert sich, wie einer der Männer ihm half, sein Fahrrad hoch in die Wohnung zu tragen. «Er hat gelächelt und mir auf die Schulter geklopft», sagt er.
Viele Menschen erinnern sich in der Polenzstraße an die drei nur als hilfsbereite und freundliche Nachbarn. Manchmal ist das Geld der alleinerziehenden Nachbarin Sandra Mayer schneller alle als der Monat. Dann fackelt Beate Zschäpe nicht lange, schnappt sich die zwei Kinder und geht mit ihnen für die nächsten vier, fünf Tage einkaufen. Das Geld für die spontanen Hilfsaktionen will sie nie wiederhaben. «Sie war schon ’ne Herzensgute», sagt Mayer.
Zschäpes Großzügigkeit ist allerdings nicht völlig selbstlos. In heiklen Situationen kann sie sich auf das Vertrauen der Nachbarn verlassen. Einmal trifft sie eine Hausbewohnerin in der Zwickauer Innenstadt und sagt ihr, dass sie ein Mobiltelefon mit Prepaidkarte brauche; leider habe sie ihren Ausweis zu Hause liegenlassen. Die Nachbarin erweist ihr den Gefallen und registriert das Handy auf ihren Namen. Beate Zschäpe bedankt sich bei der Hartz-IV-Empfängerin mit einem 50-Euro-Schein.
Viel Zeit verbringt Zschäpe in diesen Jahren mit Kochen und Backen. Nachbarn berichten, dass sie jeden Tag am Herd gestanden habe, meist mit einem Lied auf den Lippen. Wenn es mal wieder lecker aus dem offenen Küchenfenster der Erdgeschosswohnung duftete, hieß es: «Oh, die Liese kocht wieder!»
Kochen, zuhören, Fahrrad die Treppe hochschleppen – das ist die eine Seite des Trios aus der Polenzstraße, die öffentliche Seite. Die Wohnung der drei bleibt für die meisten Bekannten jedoch tabu. Hinter der Wohnungstür liegt eine vollkommen andere Welt. Eine Welt, die nichts zu tun hat mit kuscheliger Weinatmosphäre und Kinderspielen. Hier beugt man sich über Stadtpläne und Adresslisten – und plant die Morde an Ausländern.
Durch Internetrecherchen und vielleicht auch über Unterstützer aus der lokalen Neonaziszene in den einzelnen Städten findet die Zelle ihre Ziele. Mundlos und Böhnhardt legen Listen mit den Adressen von Imbissen, aber auch von Parteibüros und Moscheevereinen an. Neben den Adressen notieren sie die Koordinaten im Stadtplan und die Ergebnisse von Ausspähaktionen.
Manchmal kennen sie ihre potenziellen Opfer so gut, dass sie wissen, zu welchen Uhrzeiten die Läden nur schwach besucht sind. Über einen Verkäufer in einem Büdchen notieren sie: «Problem Tankstelle nebenan. Türke aus Tankstelle geht in jeder freien Minute zu Reden rüber.»
Das Büro des CSU-Politikers Hans-Peter Uhl in München scheint ideal für ihre Zwecke: «Sehr gute Lage, Zugang im Garten.» Über ein ausgespähtes Asylbewerberheim in Nürnberg halten sie fest: «Asylheim 1, Industriestr. 18. Tür offen ohne Schloss, Keller zugänglich.» Über ein anderes Heim schreiben sie: «Viele Häuser, weit draußen, großes Gelände.»
Das Ziel der Terroristen ist es, «unarische» Männer im zeugungsfähigen Alter zu töten – damit die Familien am härtesten getroffen werden. Darum sehen sie von der Ermordung eines ausspionierten türkischen Unternehmers in Dortmund ab. Das Ziel «Türkischer Laden 2» in der Rahmer Straße sei zwar ein «sehr gutes Objekt. Guter Sichtschutz» und auch die Person «gut, aber alt (über 60)».
Nach Erkenntnissen der Ermittler klammern sich Mundlos und Böhnhardt nicht an die vorher ausgespähten Ziele. Sie fahren zwar die einzelnen Parteibüros, Internetcafés und Kioske ab, entscheiden aber spontan, wo die Situation gerade am besten ist, um einen Stopp einzulegen. Auf ihren Touren entdecken sie manchmal auch Opfer, die gar nicht auf ihren Adresslisten stehen – dafür spricht, dass sie einige Männer hinrichten, zu denen die Ermittler später keine Hinweise und Kartenausschnitte finden werden.
İsmail Yaşar besitzt eine Dönerbude im Bezirk St. Peter im Südosten Nürnbergs. Der «Scharrer-Imbiss» steht auf einem Edeka-Parkplatz in einem Wohngebiet, nicht weit von einer Grundschule und einer Sparkassenfiliale. Der Imbiss ist nichts Besonderes, aber er ist sein eigenes Geschäft: ein weißer Container mit einer kleinen Küche. An ein paar Tischen kann man drinnen essen oder sich auch vom Parkplatz aus durch ein Verkaufsfenster eine Dönertüte
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