Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Fahrkartenkontrolleur bei der S-Bahn in München. Mit der Abfindung von der Bahn macht er sich 2005 selbständig. Drei Monate lang renoviert er die Wohnung und den Laden in der Trappentreustraße. Er setzt große Hoffnungen in das Geschäft.
Auch privat startet Theodoros Boulgarides neu. Nach seiner Scheidung ist er frisch verliebt.
Mit der Scheidung und der Ladeneröffnung scheint Boulgarides’ Leben wieder geordnet. Die Geschäfte laufen gut an, die ersten Aufträge für Türöffnungen trudeln ein. «Er war lebenslustig», sagt ein Freund. «Ich kenne ihn nur freundlich und hilfsbereit», ergänzt der Wirt der «Taverna Hellas», die direkt neben Boulgarides’ Schlüsseldienst liegt. Theo, wie ihn hier alle nennen, habe ihm an jenem 15. Juni begeistert erzählt, gerade neue Möbel für die Wohnung bestellt zu haben.
Obwohl der Laden eigentlich schon geschlossen ist, betreten kurz nach halb sieben zwei Männer das Geschäft: Böhnhardt und Mundlos. Einer von ihnen hebt eine Plastiktüte hoch, die er in der rechten Hand trägt, und zielt auf das Gesicht des Ladenbesitzers, der hinter dem Verkaufstresen steht. Unmittelbar danach fällt der erste Schuss. Die Kugel tritt am Nasenflügel in Boulgarides’ Kopf ein und bleibt in seinem Hinterkopf stecken. Sofort kippt das Opfer nach hinten weg. Der Killer macht zwei Schritte um den Tresen herum und feuert zwei weitere Schüsse auf den Kopf des am Boden liegenden Geschäftsmanns ab. Sie zertrümmern sein Kinn, ein Ohr und die linke Wange.
Die Täterbeschreibungen der Zeugen ähneln stark den Beschreibungen der Täter, die erst vor sechs Tagen in Nürnberg gemordet hatten – die Tatorte liegen nur 170 Kilometer entfernt voneinander.
Und noch eine Gemeinsamkeit haben beide Morde. Die Tatwaffe ist in beiden Fällen eine Česká.
Dreieinhalb Stunden vor dem Mord hat jemand, wahrscheinlich Beate Zschäpe, von einer Telefonzelle in der Nähe der Zwickauer Polenzstraße auf einem Handy der beiden Männer angerufen – zu dem Zeitpunkt ist das Mobiltelefon in einer Funkzelle in der Trappentreustraße eingebucht. Bereits am Nachmittag müssen sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt also in der Nähe des Schlüsseldienstes aufgehalten haben.
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«Döner-Morde»
Eigentlich ist es der Höhepunkt in der Karriere jedes Journalisten, wenn er ein Wort erfindet, das später jeder im Land kennt und benutzt. Aber niemand in der Redaktion der Nürnberger Zeitung ist heute noch stolz darauf, den Begriff «Döner-Mord» vermutlich zuerst verwendet zu haben.
Am 31. August 2005 veröffentlicht die Nürnberger Zeitung einen kurzen Bericht über die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft Nürnberg, die versucht, die «mysteriöse Mordserie an sieben ausländischen Kleinunternehmern in Deutschland» aufzuklären. Der Text ist nur 341 Worte lang und wird in Deutschland nicht besonders wahrgenommen. Die Überschrift lautet «‹Döner-Mord› – Nun wird bei Banken gefahndet».
Nur andeutungsweise ist den Zeilen zu entnehmen, worauf sich der Begriff in der Überschrift bezieht: «Zuletzt wurden im Juni ein türkischer Dönerstandbesitzer in Nürnberg und ein griechischer Betreiber eines Schlüsseldienstladens in München getötet.» Eigentlich wollte der Polizeireporter «Der Mord an dem Döner-Verkäufer» über den Bericht schreiben, aber aus Platzmangel kürzte er die Überschrift ein – so entstand das Wort «Döner-Mord».
Bis zu diesem Zeitpunkt sind sieben Personen hingerichtet worden, drei davon in Nürnberg. Aber nur zwei der ermordeten Männer arbeiteten in einem Dönerimbiss: Mehmet Turgut in Rostock und İsmail Yaşar in Nürnberg. Die anderen Opfer sind Blumen- oder Gemüsehändler, Änderungsschneider und Schlüsseldienstinhaber.
Fast ein Jahr dauert es, bis der Begriff am 8. April 2006 etwas verändert als «Döner-Mörder» bundesweit in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und international in der Neuen Zürcher Zeitung auftaucht. Beide Meldungen basieren auf einer Nachricht der Deutschen Presse-Agentur (dpa). In diesen Tagen variieren andere Medien das Schlagwort weiter, spitzen es zu, und es entsteht der Ausdruck «Döner-Killer», den am 11. April zuerst das Münchner Boulevardblatt Abendzeitung ( AZ ) druckt, einen Tag später auch die Bild -Zeitung, kurz darauf die Bild am Sonntag ( BamS ).
Auch hier gibt es wieder keine Erklärung in den Artikeln, warum die ermordeten Kleinunternehmer in Nürnberg, München, Rostock und Hamburg alle Opfer einer
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