Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
habe.
Während die Ermittlungsarbeiten in Köln gerade erst anlaufen, erstellt das Bundesamt für Verfassungsschutz im Juni 2004 ein internes Dossier zum Thema «Rechtsextremismus Nr. 21 – Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten – Entwicklungen von 1997 bis Mitte 2004».
In dem Papier fassen die Verfassungsschützer alle Gefahren von Rechtsterroristen und Rechtsextremisten in Deutschland zusammen. Ab Seite 15 gehen sie unter Punkt «2.10 Rohrbombenfunde in Jena» in wenigen Zeilen auch auf Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ein. Die Behörde geht davon aus, dass die drei Untergetauchten ungefährlich sind. Abschließend schreiben die Autoren: «Auch haben sich keine Anhaltspunkte für weitere militante Aktivitäten der Flüchtigen ergeben.»
Zwei Jahre später schafft das Bundesamt für Verfassungsschutz die eigenständige Abteilung für Rechtsextremismus ab. Ab 2006 gibt es nur noch die allgemeine Abteilung Extremismus, sie nennt sich «Abteilung 2 – Deutscher Linksextremismus, -terrorismus und Rechtsextremismus, -terrorismus».
Irgendwann im Jahr 2005 bekommt Holger G. in seinem Haus in Lauenau überraschend Besuch. Vor der Tür stehen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Im Jahr zuvor haben sie noch gemeinsam Tage in Lübeck verbracht, danach hat er länger nichts von seinen alten Freunden aus Jenaer Zeiten gehört. Es ist der erste Besuch des Trios bei G. zu Hause in Niedersachsen.
«Die Freude war groß, sie wiederzusehen», erinnert sich Holger G., «ich habe aber auch klargemacht, dass ich mit der ganzen Szene nichts mehr zu tun habe.» Er hat den Eindruck, dass sie ihn verstehen, glaubt, sie hätten ebenfalls mit dem braunen Milieu gebrochen. «Sie haben mir nicht das Gefühl gegeben, dass ich ein Verräter sei.»
Ihr Verständnis und ihre Empathie sind nicht ganz selbstlos: Für das Trio ist es sogar besser, dass G. nicht mehr politisch aktiv ist. Seine Identität ist jetzt noch unauffälliger. Zwar haben sie derzeit keinen Wunsch an ihn. Aber ein Jahr später werden sie Holger G. bitten, einen Führerschein und, im Jahr darauf, noch eine AOK-Karte für sie zu organisieren.
Im Mai 2005 veröffentlicht das Bundesamt für Verfassungsschutz die Broschüre «Verfassungsschutz gegen Rechtsextremismus». Darin heißt es auf Seite 3: «Terroristische Vorhaben zur Erreichung rechtsextremistisch motivierter Zielsetzungen werden als kontraproduktiv angesehen.» Im Klartext: Neonazis in Deutschland lehnen Gewalt ab, es gibt keinen braunen Terror.
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Nachbarn
Über Politik redet Beate Zschäpe mit den Nachbarinnen fast nie. «Das war nicht so unser Ding», sagt eine von ihnen. Nur einmal habe es ein kurzes Gespräch gegeben, das sie erst nach dem Auffliegen der Zelle richtig einzuordnen wusste. An diesem Abend lief eine Sendung über rechte Krawalle im Fernsehen. Der pubertierende Sohn der Nachbarin flachste herum: «Und ich war nicht dabei.» Zschäpe schaute ihn empört an und mahnte: «Lass die Finger davon, das bringt Unglück. Ich weiß, wovon ich rede, ich stand schon mal mit einem halben Bein im Knast.»
Gegenüber einem Nachbarn, der ein Dreivierteljahr über dem Trio gewohnt hat, soll Zschäpe einmal Türken als «Ausländerpack» bezeichnet haben. «Weil sie so schlecht auf Ausländer zu sprechen war, hat sich mein Bruder nicht getraut, uns zu besuchen, weil seine Frau Vietnamesin war. Wenn er zu Besuch kam, dann meistens alleine, ohne seine Frau. Sonst war Frau D. immer freundlich; nur wenn die Türken kamen, dann hat ihr Gesicht schon alles gesagt.»
An solche ausländerfeindlichen Aussagen können sich die eng befreundeten Nachbarinnen nicht erinnern. Manchmal gehen die Frauen gemeinsam zu «MOMA’s Pizza … Chicken & More». Sie lachen viel mit dem türkischen Besitzer Murat und singen Schlager mit ihm. Zu seinem Geburtstag bringen ihm die Frauen ein Ständchen. «Sie hat sich nie irgendwie abfällig gegenüber Ausländern oder Ähnlichen geäußert. Da gab es überhaupt nichts», sagt eine von ihnen.
Das bestätigt auch eine Familie, die in den neunziger Jahren aus Afghanistan nach Zwickau geflüchtet ist. Über das Trio sagt die Mutter: «Sie waren immer freundlich, wobei die Männer mich nur grüßten und kein Gespräch anfingen. (…) Frau D. hat mich dagegen öfter angesprochen. Kurz vor unserem Umzug ins Nachbarhaus ist sie sogar ungefragt mitgekommen in die neue Wohnung, als ich Sachen rüberbrachte. Sie half beim Tragen und sagte, wie hübsch
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