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Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Titel: Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Fuchs , John Goetz
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Theorie: Nürnberg liegt verkehrsgünstig. Die Heroin-Route von Osteuropa nach Holland führt übers Autobahnkreuz Nürnberg. Auf der Kokain-Route von den Niederlanden nach Italien ist Nürnberg ebenfalls verzeichnet.» Die Zeitung stützt sich auf die Aussage eines Polizisten, der auch klarmacht, welche Motive keinesfalls in Frage kommen: «Ausgeschlossen wurden auch jetzt wieder politische und religiöse Hintergründe, auch seien die Täter nicht im rechtsextremen Milieu zu suchen.»
    Das Boulevardblatt Bild berichtet, dass alle sechs bisherigen türkischen Opfer der Mordserie Geschäfte mit einem Im- und Exportunternehmen in Istanbul gemacht haben. Die Männer sollen der Zeitung zufolge vor allem in Drogengeschäfte investiert haben.
    Auch Die Welt kolportiert eine ähnliche Vermutung: «Drogen sind das wahrscheinlichste Motiv», wird ein Nürnberger Kriminalrat zitiert. Nach Informationen der Zeitung wurden die sechs Türken im Auftrag einer Bande ermordet, die aus den Bergen Anatoliens heraus operiert. «Ein Ermittler: ‹Sie verdient ihr Geld mit Drogengeschäften und dem Verschieben von gestohlenen Autos.› Demnach mussten sie sterben, weil sie als Drogentransporteure für die Bande Geschäfte auf eigene Faust machten oder sich den Geschäften verweigerten.»
    Die Mainzer Zeitung schließt sich dieser Sicht an: «In den ersten vier Fällen ist eine Verbindung zu Rauschgifthändlern in den Niederlanden denkbar», zitiert sie einen Polizisten. «Der Drogenhintergrund sei derzeit die wahrscheinlichste Möglichkeit gegenüber Schutzgeld, Geldwäsche, Rache oder anderen Motiven.»
    Auch die Süddeutsche Zeitung schreibt über den aktuellen Mordfall und berichtet über die zwei Männer, die am Tatort gesehen wurden: «Fieberhaft suchen sie in Nürnberg nach zwei Radfahrern, die sich ähnlich sehen sollen, beide knapp 1,90 Meter groß, dunkelhaarig, schlank. Der eine trug Baseballmütze, der andere Sonnenbrille, beide Rucksack. Sie wurden gesehen, als sie in der Nähe der Scharrerstraße einen Stadtplan studierten. Um zehn Uhr früh standen sie vor der Dönerbude, als sie weiterfuhren, steckte einer der beiden einen Gegenstand in den Rucksack. Sind es Zeugen, Täter? Von den beiden fehlt jede Spur.»
    Für die Polizisten der eingerichteten Soko «Bosporus» verdichtet sich die Hypothese, dass es sich bei der Mordserie seit 2000 um eine Reihe zusammenhängender Taten handelt. Ein wichtiges Indiz dafür ist die immer gleiche Mordwaffe. Auch İsmail Yaşar stirbt durch eine Pistole Česká 83, Kaliber 7,65 Millimeter.

    Sechs Tage nach dem Mord in Nürnberg wartet Theodoros Boulgarides weiter südlich auf Kunden für seinen «Schlüsselnotdienst 24 Stunden für ganz München», wie er seinen Service bewirbt. Es ist der 15. Juni 2005. Boulgarides hat seinen Schlüsseldienst erst vor 14 Tagen eröffnet. Dem Geschäft im Münchner Stadtteil Westend hat er den Namen «Schlüsselwerk» gegeben, es soll jung klingen und modern. Gemeinsam mit seinem deutschen Geschäftspartner will sich der 41-jährige Grieche eine kleine Existenz aufbauen. Er hat seine geschiedene Frau und zwei Töchter zu versorgen.
    Das Viertel, in dem der Laden liegt, ist beliebt bei griechischen Einwanderern. In der Nähe des Schlüsseldienstes gibt es zwei griechische Tavernen, das Begegnungszentrum «Griechisches Haus Westend» ist nicht weit entfernt, und Boulgarides selbst ist Stammkunde im griechischen «Sportcafé Difekali» um die Ecke. In der Kneipe «Trappentreuhof» im Nachbarhaus treffen sich regelmäßig griechische Männer zum Kartenspielen.
    Der Laden befindet sich im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Altbaus an einer Bushaltestelle. Durch das Schaufenster und eine Glastür kann man von außen gut hineinschauen. Im Kundenraum steht ein brusthoher Verkaufstresen, der den Zugang zur angrenzenden Werkstatt versperrt. Im hinteren Bereich des Schlüsseldienstes führt eine Tür zu Boulgarides’ Wohnung.
    Theodoros Boulgarides lebt schon lange in München, seit 25 Jahren ist das Westend seine Heimat. Geboren wurde er im nordgriechischen Dorf Triantafillia, nahe der Grenze zu Bulgarien. Als Jugendlicher zieht er mit seiner Familie nach Bayern. Nach dem Abitur bekommt er einen Job bei Siemens in der Mikrochipherstellung. Hier trifft er seine spätere deutsche Frau.
    Danach arbeitet Boulgarides viele Jahre für die Deutsche Bahn AG: Erst verkauft er Snacks in der Minibar von Reisezügen, arbeitet dann als Rangierer und zuletzt als

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