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Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Titel: Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly McCullough
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ausbreitete.
    »Zurück«, flüsterte er drängend.
    »Warum?«, fragte ich, war aber schon in Bewegung.
    »Schneller.«
    Oben auf dem Turm drehte sich der Wachmann um und schaute in unsere Richtung. Dabei hob er seine Laterne hoch. Ich drückte mich flach in das Laub unter den Bäumen, und Triss glitt über mich und hüllte mich in Schatten. Gemeinsam warteten wir darauf, dass der Wachmann sich wieder abwandte.
    »Was ist los?«, fragte ich, als Triss mir signalisierte, dass der Wachmann seine normale Runde wieder aufgenommen hatte.
    »Da ist was im Wasser«, klärte mich Triss auf. »Ich weiß nicht, was es ist, aber als ich die Oberfläche berührt habe, konnte ich spüren, dass da Dinge in der Tiefe herumschwimmen. Es schmeckt wie die Schatten unter den Bäumen. Ich glaube nicht, dass es klug wäre, durch den Graben zu schwimmen.«
    »Und ich glaube nicht, dass wir es mit einem Segelsprung auf den Turm schaffen«, antwortete ich. »Dafür überragt er die Baumkronen in der näheren Umgebung einfach zu weit.«
    »Dann springen wir eben nicht auf die Spitze. Gleich unter der Mauer ist ein kleiner Vorsprung aus Grundgestein, ein paar Zoll über der Wasseroberfläche. Wenn du den anpeilst, glaube ich nicht, dass wir Schwierigkeiten bekommen werden.«
    »Abgesehen von der Stelle, wo ich mit dem Gesicht voran gegen die Mauer knalle und ins Wasser falle, wenn wir zu schnell reinkommen. Oh, und natürlich die, wo du deine Schwingen in dem Moment, zwischen dem Aufprall auf der Mauer und dem Sturz ins Wasser in Klauen verwandeln musst.«
    »Wir haben in der Vergangenheit schon schwerere Sprünge hinter uns gebracht.«
    »Da waren wir jünger und besser in Form, und du bist nicht kurz vorher verwundet worden.«
    »Willst du damit sagen, du wärest zu alt und nicht gut genug in Form, deinen Teil zu schaffen? Denn ich könnte es verstehen, wenn es so wäre. Ich weiß, dass ich meinen Teil schaffe, aber ich bin nicht sicher, ob wir, sollte das notwendig sein, einen anderen Weg finden, um einen alten Mann wie dich da reinzubringen.«
    »Hör mal, du Echsenhirnausrede für eine Schattenmarionette ...« Meine Stimme verlor sich, als mir das Grinsen in meinem Gesicht bewusst wurde.
    Zum ersten Mal seit ich weiß nicht wann hatte Triss mich aufgezogen, einfach nur um mich aufzuziehen. Seit Jahren hatte sich hinter jeder Stichelei auch ein kleiner Tadel versteckt, Kummer wegen meiner Trinkerei oder wegen der Aufträge, die ich mir aussuchte, um uns von der Straße zu bringen, oder einfach darüber, wie gefährlich es für uns war, in Tien zu leben, obwohl auf unsere Köpfe ein Preis ausgesetzt war.
    Triss grinste ebenfalls. »Darf ich deinem plötzlichen Schweigen entnehmen, dass du zu dem Schluss gekommen bist, du bist doch noch nicht zu klapprig, um einen Trick auszuführen, den du vor ein paar Jahren noch im Schlaf beherrscht hast? Oder, um den Finger in die Wunde zu legen, dass ich recht habe? Wie immer?«
    »Sagen wir einfach, wir werden es versuchen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass wir es versauen und einen schrecklichen Tod sterben, und meine letzten Worte werden lauten: ›Ich habe es dir ja gesagt.‹«
    »Damit kann ich leben.«
    »Warum überrascht mich das nicht? Besser, wir weihen Maylien in unseren neuen Plan ein, ehe wir loslegen.«
    Nach all dem Gerede war der Sprung selbst beinahe enttäuschend. Ich prallte ein gutes Stück härter gegen die Mauer, als ich es mir gewünscht hätte – hart genug, mir die Luft aus dem Leib zu treiben und ein Geräusch zu verursachen, dass die Aufmerksamkeit des Wachmanns erregte. Aber ich schaffte es, nichtvon der Wand ins Wasser zu stürzen, und Triss verbarg uns so lange in seinem Schatten, bis der Wachmann aufgab und sich wieder seinem langsamen Marsch zuwandte. Den Turm hinaufzuklettern war nicht sonderlich spaßig. Die Steine waren frisch geschlagen, sehr sauber und glatt. Und der Mörtel war sorgfältig und in dem Bestreben, keine Grifflöcher offen zu lassen, eingebracht worden.
    Ohne Triss’ Fähigkeit, sich an Risse zu klammern, dünner als ein Bogen Papier, hätte ich durch den Graben zurückschwimmen oder die Nacht auf dem drei Zoll breiten Vorsprung verbringen müssen, den wir als Landeplattform benutzt hatten. Hinzu kam die Notwendigkeit, außerordentlich leise zu sein, was zusammengenommen dazu führte, dass ich beinahe eine halbe Stunde brauchte, um eine winzige Vierzig-Fuß-Mauer zu erklimmen.
    Während ich unter dem Rand der Brüstung darauf wartete,

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