Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
dass der Wachmann auf seiner Runde vorüberging, holte ich den Behälter mit meinen letzten mit Opium und Efik gefüllten Eiern aus meinem Trickbeutel, was ich aber erhielt, als ich den Behälter öffnete, war eine Handvoll Eierschalen und Drogenstaub an den Fingern. Verdammt! Vor dem Segelsprung waren sie noch in Ordnung gewesen, also musste ich sie zerbrochen haben, als wir an den Fuß der Mauer gekracht waren, obwohl ich sie besonders sorgfältig verpackt hatte. Eines der Risiken, wenn man Eier benutzte.
Der einfachste Weg, um mit dem Wachmann fertigzuwerden, war damit für uns verloren, was bedeutete, ich würde mir noch einmal genau überlegen müssen, ob ich ihn nicht besser einfach tötete. Es war viel einfacher, einen Mann geräuschlos zu töten, als ihn bewusstlos zu schlagen, ohne dabei jede Menge Lärm zu veranstalten oder ihn ernsthaft zu verwunden.
Ein jüngeres Ich hätte keinen Augenblick gezögert, wenn eines Mannes Leben zwischen mir und der effizientesten Ausführung meiner Aufgabe gestanden hätte. Aber diese Version von mir fußte auf der von der Göttin verliehenen Gewissheit wie auf einem Felsen. Meine Definition von Gerechtigkeit war in keinem Punkt von dem abgewichen, was meine Göttin wünschte. Wenn sie beschlossen hätte, dass ein Mensch getötet werden sollte, und ein anderer dem im Wege stand, dann war die Tötung dieses anderen eine schlichte Notwendigkeit. Wir hatten es uns nicht leisten können, uns von Sentimentalitäten oder Stolz oder irgendeinem anderen Gefühl von der professionellen Erfüllung unserer Pflicht ablenken zu lassen.
Aber die Göttin war tot, und nun fußte ich nur noch auf dem Treibsand meines eigenen Gewissens. Hier und jetzt blieb die Entscheidung mir überlassen, ganz gleich, was ich Maylien gesagt hatte. Vergoss ich das Blut des jungen Wachmanns, so würde es meine Hände beflecken. Lange Sekunden zogen dahin, während ich wankelmütig unter der Brüstung hing.
»Was ist los?« Triss’ Flüstern klang wie der verblassende Geist einer Stimme.
Ich schüttelte den Kopf, denn das musste ich mit mir allein ausmachen. Fünf Jahre lang hatte ich solch eine Situation gemieden, auch wenn mir das bis jetzt nicht klar gewesen war. Das war der wahre Grund, warum ich beschlossen hatte, mich in den geringeren Schattenarbeiten zu verlieren, statt den Versuch zu unternehmen, den Sohn des Himmels zur Strecke zu bringen oder einen anderen echten Sinn in meinem Leben zu suchen.
Ich war ein ausgebildeter Mörder, einer der sechs besten auf der Welt. In den fünf Jahren, in denen ich der Göttin als vollwertiger Schwertführer gedient hatte, hatte ich wenigstens hundert Leben genommen. Ich war eine menschliche Waffe gewesen, durch die Ausbildung im Tempel zu größter Schärfe geschliffen. Fleisch gewordene Klinge der Gerechtigkeit. Damals hatte ich meine Aufgabe gekannt: jenen den Tod zu bringen, die ihn verdient hatten. Ich war so enorm gut in diesem Metier gewesen, und ich hatte meine Arbeit und meine Göttin geliebt.
Mehr noch als nach Efik oder Alkohol war ich süchtig gewesen nach dem Gefühl, dass damit einherging, eine lebendige Verkörperung von Namaras Willen zu sein. Es war nicht das Töten gewesen – das hatte mir keine Freude bereitet –, sondern die Gewissheit. Das Wissen, dass ich geboren war, um die Feinde der Gerechtigkeit zu zerstören, war das süßeste Gefühl auf der Welt. Und als die anderen Götter Namara ermordeten, verlor ich neben allem anderen auch dieses Gefühl.
Das war das Problem, wenn man sich auf die Götter verließ, statt selbst zu denken. Baut man die eigene Moral darauf auf, was der Himmel einem sagt, kann besagter Himmel einem jederzeit den Boden unter den Füßen wegziehen, indem er einfach seine Meinung ändert.
Oh, ich hatte auch nach dem Sturz des Tempels getötet. Meist zur Selbstverteidigung, auch wenn ich Lok und seine Männer mit dem größten Vergnügen dafür umgebracht hätte, was sie Triss angetan hatten. Aber bis zu diesem Moment hatte ich mich nie der Frage stellen müssen, ob ich zur Erreichung eines Ziels jemanden töten soll oder nicht. Der Versuchung, wie mir nun klar wurde. Das war der wahre Grund dafür, dass ich versucht hatte, diese Entscheidung auf Maylien abzuwälzen, meine Mission zu ihrer zu machen. Mehr als alles andere wollte ich meinen Willen erneut in die Hände eines anderen legen und tun, was ich am besten konnte, ohne die Last der Entscheidung auf meinen Schultern zu tragen.
Es wäre so einfach zu
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