Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
machen, so einfach, diesen gesichtslosen Wachmann zu töten und zu glauben, ich hätte es getan, weil Maylien es mir befohlen hatte. Zu glauben, ich würde ihr das Leben von Triss und mir schulden, und um diese Schuld abzutragen, müsste ich tun, was immer sie von mir verlangte. Es wäre so einfach, sie zu meiner neuen Göttin zu machen, wenn auchnur für eine Weile. Und ich wollte es. Ich wollte es so sehr, sehnte mich nach dem Luxus, meinen Geist abzuschalten und einfach das zu sein, wozu meine Ausbildung und meine Begabung mich gemacht hatten. Eine Waffe in den Händen eines anderen.
Ein Rascheln über mir verriet mir, dass der Wachmann wieder näher gekommen war. Wenn er sein Muster beibehielt, würde er hinter mir so lange, bis ich bis fünf gezählt hatte, zum Wald hinausblicken, kehrtmachen und wieder auf die andere Seite des Turms zurückkehren. Eins . Mit Triss’ Nichtsehen schaute ich zu, wie er sich über mir hinauslehnte, sich den Hals verdrehte und die fahle Haut unter seinem Kinn preisgab.
Zwei. Ich musste nur den Dolch in meine Hand rutschen lassen, den Arm hochbringen, die Beine strecken ... er würde sterben, ohne einen Ton von sich zu geben. Drei. Es wäre so einfach, die Entscheidung meinen Reflexen anzuvertrauen. Vier. Fest presste ich das Gesicht an den Kalkstein und atmete den staubigen Geruch tief ein. Fünf . Allmählich wandte er sich ab, und ich konnte es immer noch schaffen, wenn ich ... wenn ich es mir nur gestattete. Sechs. Und weg war er, zurückgetreten von der Brüstung in dem Moment, in dem ich es tat.
Sieben. Eine Hand auf dem Rand der Brüstung. Acht. Die andere. Neun. Raufziehen und drübergleiten. Zehn. Fallen lassen und zupacken. Schnell hatte ich ihn erwischt und ihm den linken Arm fest um den Hals gewickelt, sodass er keine Luft mehr bekam und sein Blutfluss stockte, während ich zugleich seinen rechten Arm mit meinem eigenen an seinen Körper presste. Ich hob ihn von den Füßen, als Triss sich um seine Beine und den anderen Arm wickelte und ihn zur Regungslosigkeit verdammte.
Es wäre einfacher gewesen, ihm schlicht den Hals zu brechen. Viel einfacher. Sogar jetzt musste ich noch gegen die Versuchung ankämpfen, doch ich hielt den Druck aufrecht, bis er erschlaffte, und zählte sorgfältig mit. Unterbrach man den Blutfluss zu lange, passierte irgendetwas mit dem Geist. Tat ich es aber zukurz, käme er binnen Minuten wieder zu sich. Endlich ließ ich los und legte ihn auf den Boden, in der Hoffnung, das rechte Maß gefunden zu haben. Ein Knebel, Fesseln an Händen und Füßen, ein paar Schlaufen Seil, die ihn an den Fuß des Katapults fesselten. Fertig. Er könnte immer noch sterben – gefesselten und geknebelten Menschen passierte so etwas bisweilen –, aber ich hatte meine eigene Entscheidung getroffen, hatte den mühsamen Weg eingeschlagen und getan, was ich nur konnte, um sein Leben innerhalb der Beschränkungen, die mir durch meine Aufgabe auferlegt waren, zu schützen.
Ich gab Maylien das Signal, und sie schickte Bontrang, damit er ihr ein Ende des Seils brachte. Wir spannten es fest zwischen dem nächsten Baum und einer der Zinnen, und sie hangelte sich an den Händen an dem leicht geneigten Seil empor.
Maylien lugte durch ein kleines, vergittertes Fenster auf der Rückseite des Donjons. »Das kommt mir bekannt vor.«
»Nur zu sehr«, stimmte ich zu. Der von einer Magierlampe nur mäßig erleuchtete Raum war weitgehend eine größere Version der Folterkammer, in der man mich gefangengehalten hatte.
»Nur dass sie sich hier nicht die Mühe gemacht hat, eine Illusion zu schaffen, um zu verhindern, dass die Nachbarn sehen, was da unten vorgeht. Vielleicht hättest du den Wachmann doch töten sollen. Er muss wissen, was hier los ist. Sobald ich eine ausreichend starke Streitmacht zusammenstellen kann, werde ich diese Anlage zerstören.«
»Wozu warten?«, fragte ich. Der Anblick des Glyphengestells und die Erinnerung daran, was sein Ebenbild Triss angetan hatte, brachten mein Blut zum Kochen.
»Das kann nicht dein Ernst sein. Eine Festung dieser Größe muss mindestens dreißig Gardisten meiner Schwester beherbergen. Ich weiß, Klingen sind gut, aber wir sind nur zu zweit.«
Ich klappte den Mund auf, um ihr zu erklären, dass zwei Magier, von denen einer eine ehemalige Klinge war und die den Überraschungseffekt auf ihrer Seite hatten, durchaus in der Lage sein sollten, solch eine Aufgabe mehr als adäquat zu bewältigen. Aber ehe ich noch etwas sagen
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