Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
ein Tuch aus Dunkelheit hüllte, wusste ich, der Mann wäre niemals imstande, mich zu entdecken oder mir zu folgen. Auf der anderen Seite war die Art und Weise, wie er nun nach den Wachleuten brüllte, geeignet, in Bälde ernste Probleme zu schaffen. Das Fenster befand sich auf der Vorderseite des Hauses, und Maylien war auf der Rückseite und zudem einige Häuserweiter die Straße hinunter, also machte ich kehrt, sowie ich den Schwung abgebaut hatte, den der Sprung mir beschert hatte.
Als ich über die rückwärtige Mauer setzte, stellte ich fest, dass Maylien bereits auf mich wartete. Bontrang hockte auf ihrer Schulter und zischte verärgert. »Was ist schiefgegangen?«
»Ich habe das einzige Haus in der Nachbarschaft ausgewählt, in dem die Diener offenbar gut genug bezahlt werden, die Augen offen zu halten. Und jetzt komm!« Ich machte kehrt und rannte los. Maylien folgte mir auf dem Fuße. »Wir müssen hier weg.«
Normalerweise hätte mich das kalt gelassen. Ein paar Blocks zwischen uns und dem Schauplatz des Einbruchs, und alles wäre in Ordnung gewesen. Aber normalerweise wimmelte es in der Gegend auch nicht vor Krongardisten und – irgendwo hinter uns klang ein tieftönendes, knirschendes Heulen auf, wie um meine Gedanken zu unterstreichen – Steinhunden.
21
M aylien warf sich auf den Schlammboden und rollte sich unter den Baldachin der belaubten Zweige einer Silberweide, um Bontrang in das von der Natur geformte Zelt zu folgen. Ich ging vorsichtiger zu Werke, krauchte gebückt hinein, um die Knie meiner gestohlenen Hose zu schonen. Nach den zwanzig Minuten, in denen wir, heulend und johlend verfolgt von den Kräften der Krone, über Mauern geklettert und durch Gärten gerannt waren, hatten sie so oder so schon genug gelitten.
Irgendwo im Außenbezirk der königlichen Domäne hatten wir sie abgehängt, indem wir ständig über die Grenze zwischen Krongelände und diversen Privatanwesen hin und her gehastet waren. Unser augenblickliches Versteck lag auf einer kleinen Insel inmitten eines künstlich angelegten Minisees auf dem Stadtgrundstück des Grafen von Anaryun – ein Ort, den ich Jahre zuvor auf der Suche nach exakt solch einer temporären Zuflucht entdeckt hatte, als ich das Haus Marchon als möglichen Ansatzpunkt für den Mord an Ashvik ins Auge gefasst hatte. Glücklichweise schien sich seither nichts verändert zu haben. Wir hatten einem Pfad – für die Gärtner wadentief im Wasser angelegt und versteckt unter Seerosenblättern – zu der Insel folgen können.
Ich zweifelte nicht im Mindesten daran, dass die Krongarde immer noch da draußen auf der Suche nach uns war, aber nun, da sie uns vollständig aus den Augen verloren hatten, gingen sie deutlich besonnener vor. Allerdings mochte die eingetretene Ruhe auch etwas mit dem Umstand zu tun haben, dass wir unsdem Haus Marchon näherten, womit für die Krone die Gefahr zunahm, der Einmischung in eine planmäßige Forderung beschuldigt zu werden.
Ich hatte uns zu der Insel geführt, weil wir uns für ein oder zwei Stunden irgendwo verkriechen mussten. Der Schutz der Weide war perfekt für diesen Zweck. Nicht einmal gut ausgebildete Soldaten wie die der Krone oder der Elite können ihre maximale Aufmerksamkeit allzu lang aufrechterhalten, ohne abzustumpfen. Unsere Chancen würden weit besser aussehen, wenn wir einfach eine Weile verschwanden, ehe wir unseren nächsten Zug taten. Außerdem bekam Maylien nun endlich Gelegenheit, in saubere, trockene Kleider zu schlüpfen.
»Tut mir leid wegen des ganzen Gerennes und des Versteckspiels«, sagte ich. »Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, von einem ältlichen Diener beim Kleiderdiebstahl erwischt zu werden.« Ich reichte ihr die Kleidung. »Soll ich irgendwas für dich halten?«
Maylien grinste, und ihre Zähne leuchteten für einen Moment in der Dunkelheit auf, doch dann schauderte sie. »Ich wette, das sagst du zu allen Mädchen, wenn du versuchst, sie aus ihren Gewändern zu quasseln. Hier, nimm Bontrang. Er ist halb erfroren. Oh, und die Kleider behältst du besser auch noch. Ich kann mich nicht gleichzeitig ausziehen und sie vom Boden fernhalten.«
Ich nahm den kleinen, zitternden Gryphinx und stopfte ihn unter mein Hemd und an meine nackte Brust. Er war kalt und feucht und roch nach nasser Katze, und er war sehr, sehr glücklich, endlich vor den Elementen geschützt zu sein. Er fing augenblicklich an zu schnurren, und ich kraulte ihm liebevoll den Nacken. Triss, der den
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