Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
einige Kids, die mehreren Gruppen angehörten, weil sie super ehrgeizig waren und nach der Schule noch tausend Dinge machten – Sport, Instrumente, Theater, Politik und Ehrenämter. Alle engagierten sich irgendwo oder machten naturwissenschaftliche Erfindungen, sprachen Chinesisch. Jake nicht, obwohl seine Schwester Chinesin war. Jakes Mutter wollte, dass sie Mandarin lernte, aber keiner sonst in der Familie konnte ein einziges Wort, nicht mal genug, um im Restaurant zu bestellen. Die Kids in der Schule, die kein Chinesisch konnten, sprachen Japanisch oder Hebräisch, oder sie lernten Latein und Altgriechisch. Jake nahm Spanisch. Sein Dad war aus Kalifornien, und sämtliche Cousins und Cousinen väterlicherseits waren dort auf zweisprachigen Schulen. Jake nahm Spanisch, damit sie sich an Weihnachten miteinander unterhalten konnten, hinter dem Rücken ihrer Eltern.
An seiner Schule gab es nur wenige Pärchen. Zwar machte man andauernd miteinander herum, auf Partys, in den Unterrichtspausen, im Auto oder in dem Wäldchen auf dem Schulgelände, aber meistens nicht als Pärchen, man »ging nicht miteinander«. Audrey hatte jedoch einen Freund, er hieß Luke, und manchmal schlenderten sie händchenhaltend durch die Schule, oder Luke packte sie am Handgelenk und zog sie wie einen Papierdrachen durch das Gedränge hinter sich her – sie war so leicht, dass es tatsächlich aussah, als würde sie gleich vom Boden abheben. Fast hatte es den Anschein, als müsste Audrey lauter kleine Sprünge machen, um überhaupt mit ihm Schritt halten zu können – vielleicht trug sie deswegen im Frühling immer diese Schuhe, diese zierlichen goldenen Ballerinas, um geschmeidig über den Boden gleiten zu können: zwei rasche federnde Schritte und ein Doppelsprung zu Lukes ausgreifendem Schritt. Im Winter trug sie, als Gag sozusagen, rosa UGGs und hin und wieder auch mal klobige schwarze Doc Martens. Manchmal schwang Luke sie hoch in die Luft und hinter sich herum, als würden sie Swing tanzen oder träten in West Side Story auf. Dann schlangen sich Audreys Beine in diesen Doc Martens um Lukes Mitte, und er nahm sie Huckepack. Luke war groß und blond, ein richtiger Schrank, und sah toll aus, wie ein Fernsehstar. Er hatte so eine Kinnpartie, die Kinnpartie von einem gutaussehenden Typen. Er wirkte älter, vielleicht war er ja auch schon älter. Henry behauptete, Luke wäre auf irgendeine piekfeine Legastheniker-Schule in Westchester gegangen, bevor er auf die Wildwood gewechselt hatte und ein Jahr zurückgestellt worden war. Da er wahrscheinlich schon von vornherein älter war – auf der Wildwood waren alle älter, alle Kids auf Privatschulen waren sowieso schon älter –, war Luke also wirklich alt, was vermutlich die Tatsache erklärte, dass er bereits hellblonde Bartstoppeln im Gesicht hatte und sich zumindest ab und zu rasieren musste.
Wie jeder in der Schule trug Luke T-Shirts und im Winter Flanellhemden, man konnte ihn sich aber auch im Anzug vorstellen, mit kurzem Haar – jetzt war es lang und reichte ihm bis knapp unter die Ohren. Man konnte ihn sich irgendwie gut als Anzug-Arschloch vorstellen. Audrey war schlank und nicht besonders groß. Jake dachte nicht so gern daran, dass die beiden zusammen waren. Luke war so groß und kräftig, dass fast alles, was Jake sich bei den beiden vorstellen konnte, selbst eine Umarmung oder freundschaftliches Gerangel, damit endete, dass Luke sie zerquetschte.
Die älteren Kids aus der Schule verbrachten die Abende damit, in Manhattan an der Park Avenue abzuhängen. Alle Kids aus all den anderen Schulen – die Privatschüler, die Kids von den öffentlichen Schulen, die vom Hunter College – schlenderten die Park Avenue rauf und runter, bildeten immer wieder neue Grüppchen, rauchten und lachten zu laut, immer auf der Suche nach Action. Für die echten Attraktionen waren sie noch zu jung. Noch. Bald kamen dann Clubs und Musik und Bars. Zwar konnten sie auch jetzt schon ins Kino, doch sie hingen lieber auf der Park Avenue ab. Jake hatte erst vor Kurzem angefangen, abends draußen abzuhängen, sein Handy in der vorderen Hosentasche auf Vibrieren eingestellt, sonst hätte ihn seine Mutter nicht gehen lassen. Anfangs hatte sie ihn nicht allein U-Bahn fahren lassen wollen, und er durfte sich auch in kein Auto setzen, wenn sie den Fahrer nicht persönlich kannte. Sie müsse die Mutter kennen, sagte sie – jedenfalls bis letzte Woche an seinem halben Geburtstag. Da wurde sie plötzlich durch ihr
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