Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
Vom Netzwerk:
und Schwester waren sowieso auf irgendeiner blöden Pyjamaparty, und sein Dad arbeitete viel. Immer noch besser als allein zu Hause rumzuhängen.
    Nach Schulschluss blieben sie gleich in Riverdale. Davis kam auch noch dazu und noch ein anderer, Jonas. Drüben an der Johnson Avenue gingen sie eine Pizza essen. Sie hatten noch einen Haufen Zeit. In einem Schnellimbiss in der Nähe kauften sie ein paar Dosen Bier. McHenrys gefälschter Ausweis war griffbereit, es fragte aber keiner danach. Die lachende, lärmende Bande stürmte aus dem Imbiss – wie ein vielköpfiges Tier –, und sie lachten noch lauter, als ein Grüppchen von alten orthodoxen Männern mit Schläfenlocken ihretwegen erschrak. In Riverdale gab es jede Menge orthodoxe Juden. Jake war auch Jude, oder vielmehr, seine Mutter war Jüdin, demnach sei er vom jüdischem Gesetz her ebenfalls Jude, behauptete sie. Bevor sie nach New York gezogen waren, war er aber noch nie einem orthodoxen Juden begegnet oder hatte überhaupt solche Leute gesehen. Irgendwie gefiel es ihm, dass sie so anders aussahen, dass sie ihre innere Einstellung mit sich herumtrugen. Da gehörte Mut dazu.
    In der Gruppe reklamierten Jake und seine Freunde die Straße praktisch für sich. Sie schubsten und rempelten sich gegenseitig an, blockierten den gesamten Gehweg, lachten, rauchten und bewegten sich von der Ladengegend in Richtung Wohngegend, zu den Wohnblocks aus rotem Backstein und dann zu den ganz normalen, »richtigen« Häusern. Passanten mussten ihnen ausweichen. Manchmal trat Jake einen Schritt zurück, um eine alte Dame vorbeizulassen. Manchmal tat er es nicht.
    In dem Wäldchen hinter Jonas’ Haus zündete sich McHenry einen Joint an, und sie starrten hinaus über den Hudson. Jake schaute gern auf den Fluss, ihm gefiel die Vorstellung, dass die Stadt endete, dass es da Wasser gab und ein anderes Ufer. Seine Mutter sagte, ihre neue Wohnung wäre mit Aussicht auf den Fluss, und irgendwie freute Jake sich darauf, aus seinem Fenster schauen zu können und zu sehen, wie das Wasser sich bewegte. Jake und Henry rauchten Zigaretten und tranken Bier, James und Django auch. Davis kiffte zusammen mit McHenry und wollte kein Bier, er behauptete, Bier würde sein Drogen-High beeinträchtigen. Auf dem Hudson fuhren Boote, lange Lastkähne und schnittige Motorboote, ein altmodisches Segelboot mit mehreren Segeln, die sich wie Fahnen in der Brise bauschten, und das aussah wie ein Piratenschiff. »Ahoi, Kameraden«, sagte McHenry, als wollte er besonders witzig sein, als handele es sich um einen saukomischen Kommentar zu einer, ach so originellen Vision, die nur er ganz allein hatte. Der Typ war ein echtes Arschloch. Jake hatte keine Ahnung, wieso sie alle mit ihm rumhingen, aber Jake war noch zu neu dabei und letztendlich auch zu nett – er hasste es, dass er so nett war –, als dass er da viel zu sagen oder zu bestimmen hatte. Dann mussten sie alle pinkeln und taten es, an einer Baumgruppe. McHenry und Davis übten sich im Kampfspritzen, bis Henry sagte: »Mann, seid ihr infantil«, worauf sie sich umdrehten und versuchten, auf ihn zu pinkeln, bis der Strahl von einem im Tröpfchenbogen auf Henrys Jeans landete und der echt stinksauer wurde. Da fiel Jake auf, dass McHenry nicht beschnitten war. Es war das erste Mal, dass er so einen aus der Nähe zu sehen kriegte.
    »Was guckst du, Schwuchtel?«, fragte McHenry, aber richtig sauer.
    »Ah, der hat halt noch nie ’ne Wurst in der Pelle gesehen«, meinte Henry, der es sofort checkte. »Ich fass es nicht, dass ihr mir da auf die Scheißhose gepisst habt.«
    Sie hatten noch einen Haufen Zeit totzuschlagen, und das war gar nicht gut. Die empfindlich dünne Membran, die ihre Kumpanei umhüllte, bekam Risse. Sie gerieten wegen nichts in Streit und waren inzwischen alle ziemlich mies drauf, dabei hatte der Abend noch gar nicht richtig angefangen. Der Horizont leuchtete noch hell, obwohl das Wasser allmählich dunkler wurde, so als würde die Nacht vom Fluss aus hereinbrechen und auf den Himmel zulaufen.
    »Los, wir gehen zu Jonas und spielen Xbox.« Der Vorschlag kam von Davis, dem Friedensstifter – noch so ein netter Kerl.
    Jonas zuckte die Schultern. »Von mir aus.« Also verbrachten sie ein paar Stunden bei Jonas, spielten Xbox und sahen fern, bis ihnen die Köpfe rauchten. Da wünschte sich Jake plötzlich, er würde noch in Ithaca wohnen. Er wünschte sich, er wäre genau in diesem Moment wieder in Ithaca, auf der Buffalo Street, und würde

Weitere Kostenlose Bücher