Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
gleich die großen Geschütze auf. Also fährt Richard auch die großen Geschütze auf.
»Was immer Sie sagen, Sean«, sagt Richard. »Wird gemacht.«
Und er macht es.
Am Nachmittag des darauffolgenden Tages treffen sie sich im Princeton Club. Es ist schon eine Weile her, dass Richard in dem Gebäude war, und er überlegt, wann die wirtschaftliche Situation sich so verschlechtert hat, dass man hier nun auch noch den Columbia Club unterbringt. Dem Arrangement haftet etwas leicht Vulgäres an. Wie der Harvard Club, so sollte der Club einer Eliteuniversität eigentlich sein, findet Richard und nährt damit eine alte Wunde – er hatte Princeton den Vorzug vor Yale gegeben, es nach Harvard aber nicht geschafft. Jedenfalls schlägt sein ehemaliger Mitbewohner vor, sich dort auf einen Drink zu treffen. »Da ist es ruhig«, sagte Paul am Telefon. »Und diskret. « Paul hat im 44 im Royalton Hotel ein Mittagessen, auf dem Rückweg ins Büro kann er im Club vorbeischauen. Sie treffen sich um drei Uhr nachmittags. Eine wahrlich diskrete Uhrzeit, denkt Richard.
In der Bar sind nur wenige Gäste. Er hatte ganz vergessen, wie schön sie ist, mit der großen, rechteckigen schwarzen Marmortheke, der von hinten beleuchteten Weinvitrine und den Bodenfliesen im Art-déco-Stil. Überall im Raum verteilt sind in Wort und Bild Bezüge auf die Uni und deren Rudermannschaft. Über der Bar hängt ein hölzernes Skull kopfüber an der Decke. Zwei Anzugträger in Richards Alter und eine ältere Frau in hautfarbenen Strümpfen sitzen auf Barhockern und nippen an Longdrinks. Wie auf einer alten Karikatur aus dem New Yorker döst ein alter Mann in einem Ledersessel an einem Tisch neben den Fenstern. Richard geht ans Ende des Speisebereichs und rutscht hinter einem kleinen Holztisch in der Ecke auf die schwarze Lederbank, die an der Wand entlang die gesamte Breite des Raums einnimmt. Ein livrierter Barkeeper bringt ein Schälchen mit Snackmix herüber. Richard bestellt sich einen Scotch on the rocks. Nervös pult er die Honignüsse aus dem Schälchen und steckt sie sich in den Mund.
Paul verspätet sich um zwanzig Minuten, und so inspiziert Richard inzwischen die großen, schön gerahmten Farbfotos des Kanals in Princeton, die zwischen den Fenstern hängen. Früher war er an diesem Kanal entlanggelaufen, wenn er eine Lernpause brauchte. Im Grunde hatte er sich während der vier Jahre an der Uni am ehesten mit sich im Reinen gefühlt, wenn er ganz allein am Kanal gewesen war, Arme und Beine in Bewegung, das Herz im Brustkorb kräftig pochend, der Atem tief und gleichmäßig. Paul hatte immer dazu geneigt, sich zu verspäten, auch schon damals als Student, und ist heute ein viel beschäftigter Mann. Richard wundert sich also nicht, dass er warten muss. Er genehmigt sich einen Drink, dann noch einen halben und sitzt abwartend herum. Der Laphroaig wirkt entspannend, und er vergisst fast, weshalb er da ist.
Er ist daher zunächst einigermaßen verdutzt, als Paul schließlich den Club betritt. Kurz erscheint es ihm wie ein Zufall, Paul so unverhofft am Nachmittag zu begegnen, ein Glückstreffer, eine günstige Wendung.
Paul steht im Türrahmen, im dunklen Zweireiher, die hell schimmernde Krawatte in kühlem Blau, fast silbrigfarben, verbreitet ein phosphoreszierendes Glimmern über den Barraum, wie ein Neonfisch unter Wasser. Paul ist hochgewachsen und sehnig, sieht gut aus. Er ist der erste afroamerikanische Redaktionschef seiner Zeitschrift. Ein Medienstar. Er und Richard haben seit jeher eine relativ gesunde Rivalität gepflegt (das »relativ« stammt von der abwesenden Lizzie). Früher zu Collegezeiten stritten sie sich spätabends im Wohnzimmer ihrer Studentenwohnung manchmal bei einem Bier darüber, »wer es schwerer hatte«, Paul, der Spross einer langen Familientradition von Princeton-Absolventen, mit seiner dunklen Haut und dem Kongressabgeordneten als Vater, oder Richard, der Arbeiterjunge, der sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hatte.
»Willst du eigentlich ewig auf der alten Leier rumreiten: der Sohn des Postarbeiters, der es bis ganz nach oben schafft?«, zog Paul ihn gern auf und machte die passende Geste dazu.
Paul ist ein smarter, arroganter Scheißer, und Richard hasst es, ihn um etwas bitten zu müssen. Mit dem Rassebonus, vermutet Richard, hat Paul es allen Widrigkeiten zum Trotz im Leben bisher weiter gebracht als er und ist ihm in puncto Status haushoch überlegen.
»Eh, Kumpel«, richtet er sich von der Tür her an
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