Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
sichtlich genervt, »sind dann am Ende nicht alle Mädchen Daisys?«
»Hoffen wir’s«, erwiderte Jonas.
Alle lachten. Auch Jake.
Am Freitag fragte Rachel Potter, ob Jake mit ihr ausgehen wolle. Rachel Potter war eins der heißesten Mädchen in seinem Jahrgang und eins der beliebtesten. Sie hatte so eine tolle blonde Lockenmähne. Als Jake auf dem Weg zur Turnhalle gerade übers Schulgelände ging, holte sie ihn ein.
»Hi, Jake«, sagte Rachel, und ihr Haar raschelte über ihren Schultern, jede Locke eine andere Stimme im Chor. Sie hatte Engelshaar, trug einen rüschenbesetzten blauen Minirock und eine hauchdünne weiße Bluse, und ihre nackten Beine steckten in Stiefeln. Cooler hätte sie gar nicht sein können.
Er war überrascht, dass sie seinen Namen kannte. Allerdings kannte den ja inzwischen jeder. Also kein Wunder. Vorher hätte es ihn überrascht, jetzt nicht mehr.
»Hi, Rachel«, sagte Jake.
Sie ging neben ihm her.
»Echt ätzend, was Daisy dir da angetan hat.« Sie lächelte ihn an, während sie auf dem Ziegelpflasterweg gingen.
»Hm, na ja!« Jake wusste nicht recht, ob Daisy es tatsächlich ihm angetan hatte oder eher sich selbst, aber es gefiel ihm, wie Rachel die Sache sah.
»Du hast sie aber nicht drum gebeten, oder?«, fragte Rachel, und als sie sich zu ihm hinbeugte, stellte er fest, dass ihre Augen sehr, sehr blau waren. Fast als wären da Löcher in ihrem Kopf und er könnte den Himmel dahinter sehen. Oder wie Spiegel, wie zwei im 45°-Winkel gekreuzte Spiegel, die das Blau da oben reflektierten. Als wären ihre Augen eine Leuchtbox.
»Um was gebeten?«, fragte Jake. »Um die E-Mail?«
»Darum, dass sie so für dich tanzt.«
»Nein, ich hab sie nicht drum gebeten.«
»Aber hat es dir gefallen?«, wollte Rachel wissen.
Ob es ihm gefallen hatte? Danach hatte ihn bisher noch niemand gefragt. Er war überrascht gewesen, schockiert, er hatte es aufregend gefunden, als er es zum ersten Mal gesehen hatte. Es war ihm wie eiskaltes Wasser durch die Adern gelaufen, richtig eiskaltes Wasser, mit richtigen Eisbrocken drin und mit spitzen Stacheln. Er hatte einen Steifen bekommen. Er war sich toll vorgekommen. Es hatte ihn angewidert, ihm Angst gemacht. Er hatte angeben wollen.
»Ich weiß nicht«, sagte Jake.
»Ich tanze gern«, sagte Rachel und sah ihm dabei in die Augen.
Jakes Wangen fingen an zu glühen.
»Eh, du bist süß, Jake«, sagte Rachel. »Du wirst ja rot.«
»Werd ich nicht«, sagte Jake, doch es stimmte. Er spürte, wie ihm ganz heiß wurde.
»Okay, wirst du nicht«, sagte Rachel, lächelte aber dabei. Es war ein keckes Lächeln, sanft, nicht gemein, einladend.
»Schick mir ’ne SMS, wenn du mal ein bisschen abhängen willst«, sagte sie.
»Okay.«
Und dann sagte sie: »Ich muss jetzt los, zu Latein«, und bog in einen anderen Fußweg ein.
Das Wochenende verbrachte er zu Hause mit Hausaufgaben. Um den Lernstoff für seine Prüfungen nachzuholen. Seine Eltern erlaubten ihm nicht, aus dem Haus zu gehen. Nur noch eine Woche bis zu den Prüfungen. Jake war froh um die Arbeit, denn sie lenkte ihn von allem anderen ab, außer von der schieren Panik, mit all dem verpassten Lernstoff fertigzuwerden und darüber hinaus mit all dem, was er vorher schon nicht kapiert hatte. Seine Mutter hatte für ihn den ersten Termin beim Psychotherapeuten vereinbart, am Mittwoch gleich nach der Schule. Vielleicht würde es ihm ja gefallen, hatte sie gesagt und dabei von ihrem Computer aufgeblickt. Sie selbst sei eigentlich immer gern zum Therapeuten gegangen, früher, bevor sie seinen Vater geheiratet hatte. Es könnte ja sein, sagte sie, dass sie durch Jake inspiriert wurde, auch wieder hinzugehen. Das alles sagte sie natürlich, um ihm Mut zu machen.
»Ich will nicht, dass er es als Strafaktion betrachtet.« Jake hörte, wie sie es seinem Vater zuflüsterte, dem es anscheinend egal war, ob Jake es als Strafaktion sah oder nicht. Dazu war sein Vater viel zu sehr mit seinem Job beschäftigt. Damit, dass er da wieder hinkam. Er verbrachte fast das ganze Wochenende mit Telefonieren. Und verschickte E-Mails. Legte seinen Fall dar, über Hintertürchen oder so was in der Art. Irgendwie clever und umsichtig und strategisch klug. Wie ein echter Vater eben.
Coco wurde das ganze Wochenende vor den Fernseher gesetzt. Und ruhiggestellt. Seine Mutter erlaubte Coco sogar, auf ihrem Laptop stundenlang Videospiele zu spielen. Jedenfalls wenn sie nicht selber dran war. Keiner machte irgendwelche Anstalten,
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