Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
Vom Netzwerk:
mit Coco in den Park zu gehen. Jake hätte sich nicht gewundert, wenn sie ihr ein leichtes Schlafmittel in den Saft gemixt hätten. Sie durfte sogar ihren afrikanischen Tanzkurs und Ballett schwänzen, das entging ihnen anscheinend. Es war sogar nicht mal klar, ob jemand sie in die Badewanne schickte. Fast so, als wären wir wieder ganz unter uns, dachte Jake, und Coco bloß Hausgast.
    Am Montag sah er Audrey in der Schule auf dem Korridor, von hinten, den winzigen Hintern, die engen schwarzen Jeans, die magischen goldenen Ballerinas. Er ging etwas schneller, um sie einzuholen, als er Luke um die Ecke biegen sah. Audrey musterte Luke nur kurz und wandte sich dann in die andere Richtung. »Na, komm schon, Aud«, sagte Luke. Er begann ihr nachzulaufen. Jake war Luke seither noch nicht wieder begegnet, er fürchtete sich davor und wollte nicht, dass Luke ihn sah. »Audrey!«, hörte er Luke ihr hinterherrufen. Also blieb er zögernd im Korridor stehen und trat ein Stück zurück, als Rachel Potter ihn plötzlich am Ellbogen fasste.
    »Du gehst in die falsche Richtung, Jake«, sagte sie. Sie schob die Hand unter seinen Arm und hängte sich bei ihm ein. »Du hast doch jetzt Mathe, stimmt’s?«
    »Woher weißt du das?«
    »Komm, ich begleite dich.« Sie schob ihn voran. »Ich hab mir deinen Stundenplan online angeguckt.«
    »Wieso das denn?«
    »Weil ich dich mag«, sagte sie. Wieder diese blauen, unendlich tiefen Augen. Die blonden Locken, im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Sie mochte ihn?
    Während sie den Korridor entlanggingen, sah Jake plötzlich McHenry auf sie zukommen.
    »Du Arsch«, sagte McHenry zu Jake. Es war das erste Mal, dass die beiden sich seither gesehen hatten. »Du bist echt ein Superarschloch.«
    Jake blieb wie angewurzelt stehen. Er hasste McHenry.
    McHenry machte wieder einen Schritt auf Jake zu. Er roch aus dem Mund. Nach Tabak und Kaffee. Er kam ganz dicht an ihn heran. »Du solltest die Schule abbrechen, Jacoby, ich sag’s dir. Wegen dir wären wir fast im Knast gelandet. Du solltest abbrechen, du Arsch.«
    Jake spürte Rachels Finger fest an seinem Arm.
    »Ich mach dich fertig, du Arsch«, drohte McHenry.
    Eine Menge begann sich zu bilden. Jake wusste nicht, ob er fliehen oder kämpfen sollte. Er stand bloß stumm da und atmete schwer. Und fragte sich, ob das jetzt eine Herzattacke oder ein Schlaganfall war. Oder ein epileptischer Anfall.
    »Wollt ihr Arschsäcke, dass sie euch rausschmeißen?«, flüsterte James im Vorbeisausen. »Ihr zieht noch alle mit rein.«
    »Komm, Jake.« Rachel zog ihn fort, während McHenry ihm hinterherzischte: »Du kannst weglaufen, aber du kannst dich nicht verstecken.«
    Die ganze Mathestunde über zitterte Jake vor Wut. Er hörte kein Wort von dem, was der Lehrer sagte. Seine Wangen brannten, er konnte sein Blut so laut in den Ohren pochen hören, dass kein Platz für Wörter, Zahlen oder Geräusche war. Nach dem Unterricht beschloss er, außerhalb des Schulgeländes etwas zu Mittag zu essen. Er würde zur Schulschwester gehen und sich krankmelden. Hauptsache, er kam hier raus. Er ließ den Rest der Klasse hinausströmen, um beim Abhauen mit keinem reden zu müssen. Aber dann stand Rachel im Korridor und wartete auf ihn.
    »Komm«, sagte sie.
    Sie gingen hinaus, ins Wäldchen.
    Am Mittwoch hatte er seine erste Therapiesitzung. Der Typ hatte überraschenderweise keinen Bart. Er war jünger als Jakes Eltern, griechisch oder so – na ja, schon von hier, aber mit einem griechischen Nachnamen. Er trug einen offenen Kragen und ein Sakko. Seine Haut war dunkler als die von Jake. Ein gutaussehender Typ, mit kräftiger Nase und silbrigen Koteletten. Jake ging zwar allein hin, als die Dreiviertelstunde jedoch vorbei war, wartete seine Mutter im Wartezimmer auf ihn, um ihn abzuholen, als wäre er ein kleines Kind oder unheilbar krank oder ein Gefangener. Oder ein Haustierchen.
    Am Freitag nach der Schule sah er endlich Audrey, genauer gesagt, sprach er mit ihr.
    Um den anderen aus dem Weg zu gehen, war er länger in der Bibliothek geblieben. Eigentlich sollte er büffeln, wurde aber ständig abgelenkt. Er musste andauernd an Dinosaurier denken. Sein Kopf war voller Dinosaurier, genau wie früher, als er noch ein kleiner Junge war. Komischerweise war es der Stegosaurus, der ein Gehirn von der Größe eines Fleischkloßes hatte. Wie konnte etwas mit einem so großen Körper bloß so einen winzigen Kopf haben? Wie kam es, dass die Schuppenplatten bei ihm nicht an den

Weitere Kostenlose Bücher