Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
Vom Netzwerk:
er sich seine eigenen Fehler und Missetaten eingestanden hatte, dann müsse er lernen, sich selbst zu verzeihen. Er und auch sie müssten sich in der Kunst der Selbstvergebung üben – das hätte sie sagen sollen –, denn obwohl sie ein gutes Herz hätten, neigten sie doch auch beide dazu, manche Dinge einfach in den Sand zu setzen.
    Stattdessen stand Liz in jener Nacht bloß im Pyjama da und schaute auf Jake hinunter und rätselte, ob seine Wange unter den Stoppeln wohl noch weich war. Als kleines Kind war er ihr Heilmittel gegen existentielle Einsamkeit gewesen. Nun stand sie an seinem Bett, an der Schwelle zu ihrer Selbstverwirklichung, und schaute ihm hilflos beim Wachsen zu.
    Nach dem Studium, als Richard bei der Weltbank arbeitete und sie noch ein junges Paar waren, ein junges Paar mit einem Kind, lagen sie nachts in dem Klappbett im Wohnzimmer ihrer kleinen Wohnung in Adams Morgan, über dem senegalesischen Restaurant – wie hatte es gleich geheißen? – und nannten ihr Zuhause insgeheim, flüsternd, damit es kein Unglück brachte, ihr »Glückshaus«. Der Duft von Yassa au Roulet de la Casamance, der Spezialität des Hauses, gegrilltes Hühnchen in einer würzigen Zwiebel-Zitronen-Sauce, zog allnächtlich durch ihr Wohnzimmer, während Jake behaglich in sein Bettchen gekuschelt lag, in dem kleinen Schlafzimmer am anderen Ende des Flurs. Im Sommer umschmeichelte dieser Geruch sie so köstlich und sanft wie die kühlen Laken, die leicht auf ihren Körpern lagen. Nacht für Nacht liebten sie sich, Richard und sie.
    Während sie nun neben Jakes Bett stand, konnte Liz das Gericht riechen, wenn sie sich stark genug konzentrierte. Wann hatte sie es eigentlich das letzte Mal gekostet?
    Es war ja so gut.

Kapitel 7
    S ie trat gerade durch die Glastür an der Eingangshalle hinaus, als er hereinkam. Er hielt ihr die Tür auf, und die Hitze, die von der Broad Street hereinknallte, hätte sie beinahe wieder zurück ins Gebäude getrieben, nach oben an ihren Schreibtisch, wo sie ja einen Lieferservice anrufen konnte, doch sie ging beherzt weiter. Er war hochgewachsen und gutaussehend, ein bisschen wie ein Streber, und musste gleich zweimal hinschauen, als sie beim Heraustreten leise »Danke« murmelte und über den Gehweg davoneilte. Offenbar dachte er, er würde sie kennen, doch sie hatte es eilig und wollte sich jetzt nicht lange aufhalten. Und obwohl er eigentlich ein ganz süßer Typ war, reagierte sie deshalb leicht verärgert, als er sie beim Namen rief.
    »Daisy?«
    Unwillig blieb sie stehen und drehte sich um.
    Zu dem Sommerpraktikum, das ihr Vater für sie arrangiert hatte, gehörten eine ganze Menge Drecksarbeit – Telefondienst, Unterlagen kopieren, allen möglichen Mist sortieren und Besucher über den Korridor begleiten –, eine persönliche E-Mail-Adresse ([email protected] – ihren Freunden erzählte sie, GS stünde für »goldener Sonnenschein«, obwohl jeder wusste, dass damit Goldman Sachs gemeint und sie ein Glückspilz war), eine ganze Batterie von neuen Schuhen, aber leider auch nur eine halbe Stunde Mittagspause, weshalb sie sich auf ihren hohen Stilettos jetzt ganz schön beeilte. In einem neuen Lokal ganz in der Nähe gab es Hummerbrötchen – in der Stone Street, wie sie von einem anderen Praktikanten erfahren hatte; und weil es ihr allererster Sommer ohne Strand war (sie flog bloß an den Wochenenden hoch), hatte sie richtig Lust auf eins.
    Sie blieb also nur widerwillig stehen, als dieser Typ in Khakihosen und Blazer ihr hinterherrief.
    »Daisy«, wiederholte er, und zum ersten Mal seit Langem erinnerte sie das wie aus heiterem Himmel wieder daran, dass es ja auch ein Blumenname war. Daisy, das Gänseblümchen – so wie Hyazinthe oder Rose oder Iris.
    »Davis«, sagte er. Er war so ein Preppie-Typ, mit kurzen Haaren. »Davis Palmer«, half er nach. »Ich war auf der Wildwood ein paar Klassen über dir.«
    »Ja, ach, hallo«, sagte sie. Es dauerte ein Weilchen, bis sie seinen Namen wiedererkannte, bis sie überhaupt wusste, wo sie ihn einordnen sollte: Er war einer von den Netteren gewesen. Als es soweit war, wurde ihr doch leicht flau im Magen.
    »Na, wie geht’s so?«, fragte er. Sein Blick, mit dem er ihr Gesicht suchend betrachtete, war nicht unfreundlich. Er musterte sie von oben bis unten, und sie überlegte für einen Moment, ob ihr Rock vielleicht zu kurz war. Sie fuhr sich mit der Hand an den Saum und zupfte.
    »Gut«, antwortete sie. »Ich hab aber bloß noch

Weitere Kostenlose Bücher