Die Zerbrochene Kette - 6
unterbrach: »Für euch alle drei wird es das beste sein, wenn ihr heute als meine Gäste in der Comyn-Burg übernachtet. In der Ardais-Suite ist Platz für mehr als ein Dutzend, und Ihr, Piedro, könnt Eurem terranischen Vorgesetzten eine Nachricht schicken, daß wir uns morgen alle bei Lorill Hastur treffen wollen. Beide werden gespannt darauf sein, wie diese Geschichte ausgegangen ist.«
Sie stimmten dem Kompromiß zu, und eine Stunde später waren sie alle bequem in der Ardais-Suite untergebracht. Magda war müde von der langen Reise und legte sich hin, wußte jedoch, daß der Schlaf nur eine weitere Methode war, die unerträglichen Konflikte hinauszuschieben. Morgen mußte sie sich ihnen stellen, koste es, was es wolle.
Peter blieb für ein paar Augenblicke in der Tür des Zimmers stehen, das die Frauen teilten. Gekränkt sagte er: »Jaelle, du weichst mir schon wieder aus!«
»Nein, mein Lieber. In einem oder zwei Tagen werden wir uns vor Zeugen als Freipartner erklären«, versprach sie, hob sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn mit solcher Leidenschaft, daß seine Zweifel verschwanden. »Jetzt bin ich Rohanas Gast in der Comyn-Burg, und ihres guten Namens wegen muß ich mich unter die sem Dach nach ihren Ansichten über schickliches Benehmen richten. Aber ich liebe dich. Zweifle nie daran, Piedro, versprich es mir.«
»Ich verspreche es.« Dann beugte er sich überrascht zu ihr nieder und wischte ihr die Tränen aus den Augen. »Mein Liebling, mein Schatz, warum weinst du?« »Ich… ic h weiß es nicht«, stammelte sie, und er konnte nicht gut auf eine offene Antwort drängen. »Obwohl ich eine Freie Amazone bin, Piedro, mußt du mir manchmal zugestehen, daß ich einfach eine Frau und nicht immer rational bin…«
Er ging. Magda war in den tiefen Schlaf der Erschöpfung gefallen, und Jaelle wanderte unruhig in der Ardais-Suite umher. Zu dieser Jahreszeit war sie verlassen. Es war, als klapperten Rohana und ihre Gäste in den leeren Räumen und Fluren wie ein paar Schoten an einem vom Sturm entblößten Baum. Dann kam Rohana zu ihr.
»Setz dich eine Weile zu mir, Jaelle. Es mag lange dauern, bevor wir wieder beisammen sein können. In der Zeit der Ratssitzungen habe ich wenig Muße, mich deiner Gesellschaft zu erfreuen, und es vergehen vielleicht viele Jahre, bis du mich wieder einmal in Ardais besuchst.«
Sie nahmen vor dem Feuer Platz, das in Rohanas Zimmer angezündet worden war. Anfangs sprachen sie nur wenig, aber endlich erhob sich Jaelle aus ihrem Sessel und setzte sich auf den Kaminvorle ger neben ihre Verwandte. Sie legte ihren Kopf auf Rohanas Schoß; zögernd streichelte Rohana das weiche Haar. Als Kind hatte Jaelle sich keine Liebkosungen gefallen lassen, und Rohana hatte schnell gelernt, sie damit zu verschonen. Diesmal jedoch schien sie darum zu bitten.
Endlich sagte Jaelle: »Ich habe es dir nicht erzählt, aber wahrscheinlich hast du es erraten. Piedro hat mich gebeten, als seine Freipartnerin in Thendara zu bleiben, und ich habe zugestimmt.«
Traurig blickte Rohana auf Jaelle nieder. Sie liebt ihn so sehr, und ich kann das nicht so ganz verstehen. Rohana selbst war sehr jung verheiratet worden. Gehorsam hatte sie den Mann genommen, den ihre Familie ausgesucht hatte, und eine Leidenschaft dieser Art hatte sie nie erlebt. Mit zurückhaltender Zärtlichkeit fragte sie: »Hast du deinen Eid je bereut, Jaelle?«
»Bis dies geschah, nie auch nur für einen Augenblick«, antwortete Jaelle. Dann zwang sie die Worte hervor: »Trotzdem glaube ich, daß du damals recht hattest, als du sagtest, ich sei zu jung, eine solche Wahl zu treffen.«
Es traf Rohana mit einem fast körperlichen Schmerz ins Herz. Gnädige Göttin, ich habe ihr die Freiheit gegeben, die mir versagt geblieben ist. War das ganz falsch? Vergangenheit und Gegenwart verschmolzen, und Rohana schien es noch einmal der letzte Tag von Jaelles langem Besuch auf Burg Ardais zu sein. Rohana hatte gewußt, daß die fünfzehnjährige Jaelle sich dort nicht glücklich fühlte. Sie verabscheute Kyril und mochte auch Rohanas jüngeren Sohn und ihre Tochter nicht besonders. Gabriel hielt sie für einen engherzigen Tyrannen. Sie hatte sich wütend dagegen gewehrt, sogar beim Reiten Röcke zu tragen. Und am letzten Tag hatte sie Rohana trotzig erklärt, sie werde den Amazonen-Eid an dem gleichen Tag ablegen, an dem das Gesetz es ihr erlaube.
Rohana hatte es vorausgesehen, und doch betrübte es sie. Ihrer Meinung nach hatte Jaelle noch keine Ahnung
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