Die Zerbrochene Kette - 6
Futter für ihre Tiere einkauften. Sie wollten gerade weiterreiten, als die Gurte von Magdas Packtier nachgaben und die Last abrutschte. Das Tier, verängstigt durch das schwere Bündel, das ihm unter dem Bauch hing, schnaubte und wieherte. Magda stieg ab und rannte hin, um es davon zu befreien. Aber das Tier trat aus und bäumte sich auf, und auch mit Jaelles Hilfe dauerte es eine halbe Stunde, bis Magda es so weit beruhigt hatte, daß sie den noch festsitzenden Gurt lösen und den Pakken abnehmen konnte. Dann mußten sie einen Sattler finden, um den Gurt flicken zu lassen oder einen neuen zu kaufen. Jaelle führte ein langes Gespräch mit dem Sattler (sein Dialekt war so breit, daß Magda ihn nicht verstand), und als sie zurückkehrte, blickte sie ernst drein.
»Lady Rohana mit ihrer Eskorte hat den Scaravel vor drei Tagen auf ihrem Weg nach Ardais passiert«, berichtete sie. »Damals war der Paß noch offen. Seitdem ist kein Reisender mehr hinaufgestiegen. Vielleicht finden wir ihn schon blockiert, und wenn nicht, wird dieser Sturm ihn sicher bis zur Frühjahrsschmelze schließen. Was auch geschehen mag, wir müssen heute nacht über den Scaravel, sonst erreichen wir Sain Scarp nicht mehr rechtzeitig. Essen wir noch einmal von der guten Bohnensuppe jener Frau, bevor wir uns auf den Weg machen. Heute abend werden wir kaum eine warme Mahlzeit bekommen.«
Weniger als eine halbe Meile hinter dem Dorf sah Magda sich um und stellte fest, daß der dichter werdende Schnee die Lichter hinter ihnen bereits ausgelöscht hatte. Jaelle wickelte ein Ende ihres Schals um die verbundene Wange. Gedämpft klang ihre Stimme darunter hervor. »Wenn diese Dorfbewohner nicht alle im Schatten von Sain Scarp lebten – und falls sie nicht von den Räubern bezahlt werden, haben sie doch Angst vor ihnen –, hätte ich die Pferde zurückgelassen und versucht, den Paß zu Fuß zu überqueren. Aber auf eine so schwere Probe wollte ich ihre Ehrlichkeit nicht stellen. Es gibt ein Sprichwort in den Bergen: ›Vertraue deinen Knochen nicht dem Hund eines anderen Mannes an.‹«
Nicht einmal eine Stunde später mußten sie ihre Sattellaternen anzünden. Die kleinen Lampen, in denen Baumharz brannte, warfen in alle Richtungen ein paar Fuß weit einen matten Schein, doch dahinter löste sich das Licht vor dem Vorhang aus fallendem Schnee im Nebel auf. Der Pfad zwischen den Felsen war tief eingetreten, und das beruhigte Magda, denn der Schnee löschte die Landmarken aus, und sie hätten vom Weg abirren und ihn nie wiederfinden können. Als sie darüber zu Jaelle eine Bemerkung machte, lachte diese hinter ihrem Schal.
»Halte dich nur immer aufwärts, bis es nicht mehr weitergeht! Was mich betrifft, bin ich froh über den Schnee. So nahe an Sain Scarp ist der Scaravel kein Paß, den man bei gutem Wetter allein überquert. Ich bin überzeugt, auf diese Weise ist dein Freund gefangen worden. Aber in einer Nacht wie dieser sitzt sogar ein Räuber zu Hause an seiner eigenen Feuerstelle!«
Höher und höher hinauf ritten sie, und bei Magda machte sich der dumpfe Schmerz in Ohren und Stirnhöhle bemerkbar, der von großer Höhe herrührt. Ganz gleich, wie oft sie gähnte und die Fingerspitzen gegen die Ohren drückte, er ließ sich nicht ganz vertreiben. Es war bitter kalt, und sie gerieten in den Bergwind, der den dichten Schnee beinahe waagerecht in ihre Gesichter trieb und am Boden aufhäufte, bis die Tiere knietief in Schneewehen versanken. Sie mußten absteigen und die sich sträubenden Pferde führen. Langsam arbeiteten sie sich gegen den Wind vor, jede Frau abgeschlossen in ihrem eigenen Kokon aus Dunkelheit und Stille. Für Magda war die Welt zu einem weniger als zehn Fuß durchmessenden Kreis zusammengeschrumpft, der sie selbst, die vordere Hälfte ihres Pferdes, den Schwanz von Jaelles Reittier unmittelbar vor ihr und das leise Knirschen enthielt, mit dem das geweihtragende Packtier auf seinen breiten Hufen hinter der Laterne herstapfte. Außerhalb dieses kleinen Kreises war nichts, nur Dunkelheit und ein Wind, der wie alle Dämonen aus Zandrus legendärer neunter Hölle kreischte. Höher und höher hinauf, die Kniemuskeln protestierten bei jedem Schritt, und ihr Atem ging in kurzen Stößen. Sie wickelte sich ihren dicken Schal um das Kinn und spürte, wie er durch die Feuchtigkeit ihres Atems zu einer Eismaske gefror.
Dann lief sie gegen einen Körper, der hart und weich zugleich war, erschrak über das Eindringen von etwas Fremdem in
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