Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
begrüßte Madame mich in ihrem Salon. Die Schuhe waren tatsächlich die alten, doch der Schuhmacher hatte wirklich außerordentlich gute Arbeit geleistet – sie waren mit Schafsfell gefüttert, geflickt, geputzt und poliert, und ich fühlte mich darin, als würde ich nie wieder kalte Füße bekommen. Jetzt brach mir in der Tat der Schweiß aus – ich war noch niemals in jenem Sündenpfuhl im Keller des Hauses gewesen, und der Geruch, obgleich er dem ganzen Gemäuer anhaftete, war befremdlich und beklemmend.
Einige Stufen führten hinab in ein niedriges Souterrain, in welchem die Chinesinnen bereits alles für die Feier angeordnet hatten. Liegen waren mit kostbar bestickten Kissen hergerichtet, Pfeifen, Nadeln und Lampen lagen bereit, um dem Opiumraucher in welcher Weise auch immer zu dienen. Ich hatte noch niemals geraucht, und der Gedanke daran machte mich seltsam beklommen.
Ich würde nichts rauchen. Man muss sich ja nicht zum Narren machen.
Die Wände waren bemalt, doch vieles davon war mittlerweile unkenntlich, war beschmiert oder zerkratzt oder beschmutzt. An der Decke erkannte ich jedoch noch die verschnörkelten und zugleich klaren Linien der Art Nouveau. Madame hatte für eine Opiumhöhle Geschmack bewiesen, das musste man ihr lassen. Zweifelnd warf ich ihr einen Blick zu. Oder vielleicht waren die Wandmalereien auch Überbleibsel des früheren Eigentümers.
„Piotr muss sicherlich noch von seinen Dienern angekleidet werden. Der Schlaf ist das Geschenk an den Süchtigen, aber es ist auch sein Fluch“, sagte Madame voll des poetischen Geistes und lächelte breit. „Er kommt immer als Letzter, aber es gehört sich natürlich nicht, anzufangen, bevor er da ist. Hast du schon einmal geraucht, mein Kleiner?“
„Ja“, sagte ich, strafte mich aber mit einem instinktiven Kopfschütteln Lügen.
„Lass es dir von den Chinesinnen erklären. Sie können es am besten.“
Während die Chinesin in radebrechendem Deutsch etwas von den Pfeifen, dem Chandu und von der gängigen Konvention, während des Rauchens zu schweigen, erzählte, tänzelte auch Lotte herein und mit ihr gleich mehrere ihrer Kolleginnen. „Nur Männer und ihre Abgründe“, hörte ich Piotrs Stimme in Gedanken. Ich hatte geglaubt, Ynge in meiner Kammer gelassen zu haben, um sie vor neugierigen Augen und Händen zu schützen, doch als ich den Mantel ablegte, fand ich sie doch in meiner Tasche.
Lotte zwinkerte mir zu, doch ich ignorierte sie. Ich würde einen klaren Kopf behalten.
Eine Gruppe junger Männer trat ein, einer pfauenhafter als der andere. Nadelstreifen, feine Gehröcke, seidene Hüte und Hermelin ließen mich auf geradezu peinliche Weise karg aussehen. Ich strich kurz über die Papierrolle, zu der ich mein Kunstwerk vorsichtig aufgerollt hatte.
„Herr von Erlenhofen?“, sagte plötzlich eine Stimme. Es war das erste Mal seit Venedig, dass jemand mich von sich aus mit meinem Namen angeredet hatte, ohne selbigen von einem Flugschein oder etwas Ähnlichem abzulesen. Langsam wandte ich mich zum Eingang um. Einer der Herren hängte seinen kostbaren Frack an einen Kleiderhaken.
Verblüfft starrte ich ihn an. Sicherlich, er war auch Pole. Aber hätte ich denn erwarten können, dass ein Pole, den ich kennenlernte, den einzigen anderen Polen, den ich kannte, in eine Opiumhöhle einlud?
„Domek?“, fragte ich mit einem Flüstern. Er stürzte zu mir herüber, trug noch lederne Handschuhe und Schal und umarmte mich heftig.
„Naðan, mein guter Freund! Wie schrecklich, wie entsetzlich, Sie Armer! Ach, wir leiden mit Ihnen, seien Sie gewiss! Es war ein Schock, für die ganze Familie, das können Sie mir glauben! Als wir davon hörten – und dann waren Sie auch noch verschollen, und keiner konnte sagen, wohin Sie gereist sind!“, plapperte er auf mich ein.
„Domek“, wiederholte ich. „Aber … was tun Sie denn hier?“
„Geschäfte für meinen Vater. Ihre Eltern, Naðan, sind krank vor Sorge!“
„Sie machen Geschäfte für Ihren Vater – hier?“
„Hier auf Æsta. Oder meinen Sie hier im Salon?“ Er lachte, ein wenig peinlich berührt. „Nein, der Salon … er dient der Zerstreuung nach einem … harten arbeitssamen Tag.“ Er räusperte sich. „Ähnliches könnte ich Sie aber auch fragen, mein Guter. Es war mir nie bewusst, dass Sie sich an solch lasterhaften Orten herumtreiben.“
„Ich bin eingeladen worden. Von Piotr.“
„Tja, wie klein ist doch die Welt! Oder sollte ich sagen: die Insel?“ Er setzte
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