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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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der Blitzentladung begleitet durch den Korridor flog, gegen die Wand prallte und zusammengekrümmt liegenblieb. Ich zuckte, es stank nach verbrannten Haaren – doch kaum hatte ich wieder ein wenig Kontrolle über meine zuckenden Gliedmaßen, kroch ich an der eisigen Backsteinmauer den Flur entlang.
    Ich lebte! Der Blitz ließ meine Ohren schrillen, ließ meine Wirbelsäule erbeben, ließ Sterne vor meinen Augen tanzen, doch er war nicht tödlich gewesen – die Spulen hatten noch nicht ihre ganze, letale Kraft gehabt, hatten mich mit einer Warnung abgemahnt, doch erneut summten und sirrten sie und sammelten elektrische Ladung, die Æstas Generatoren mühsam erzeugten. Wenn ich nicht weit genug fort war, würden sie erneut versuchen, mich zu ermorden. Ein Abschnitt des Bodens war mit Metallplatten gepflastert, und ich zog mich mit letzter Kraft darüber und davon fort. Ein halbherziger Blitz flog bogenförmig von Spule zu Spule und übersah meine Existenz. Ich lag auf dem Boden und rieb mein verbranntes Knie, keuchend, angekommen in der tiefsten Höhle.

    „Willkommen“, flüsterte Ynge. „Du wirst erstaunt sein.“
    Sie sagte das, als wüsste sie immer alles bereits eine Winzigkeit vor mir. Ich presste sie an mich, ich glaubte mich daran zu erinnern, dass sie bei meinem lebensmüden Sprung erneut bedrohlich geknackt hatte. Sollte ich jemals wieder ans Tageslicht und zu Geld gelangen, musste ich sie reparieren lassen – ich wollte doch nicht, dass sie eines Tages aufhören würde zu sprechen.
    Der Korridor öffnete sich in zahlreiche Räume – an beiden Seiten waren drei dem Eisberg entrungen worden, und geradeaus mündete der Gang in eine finstere, große Kammer.
    Befand ich mich hier geradewegs unter dem Friedhof? Oder tief unter der Æstaner Flagge, die stolz auf der Spitze des Eisberges geweht hatte?
    Ich sah zweifelnd nach oben, doch die Wände waren backsteinverkleidet, sie atmeten lediglich die Kälte des Berges, an manchen Stellen war die Feuchtigkeit überfroren.
    „Ich brauche Licht“, murmelte ich, und dabei wurde mir mit der Wucht eines Schlages in den Magen bewusst, dass Professor Roþblatt sehr bald nachprüfen würde, ob ich mich auf der Toilette befand. Das Wort „Zwangseinweisung“ schoss mir durch den Kopf.
    Würde ich meine Schritte aus der Unterwelt zurücklenken können? Würde ich jemals wieder ans Licht zurückkehren?
    Oder würde ich den spärlichen Rest meiner Tage im Æstaner Irrenhaus verbringen?
    Nur, wenn er mich fand. Er durfte mich nicht finden .
    Ich tastete mich in den Raum, in welchem der Professor mit dem Fräulein gesprochen hatte. An der Wand fand ich einen weiteren Hebel, den ich mit der Hand umfasste und nach unten zog. Eine Glühlampe in einem schlichten Käfig aus Glas und Metall, der von der Decke baumelte, leuchtete auf, während ich noch die Augen zusammenpresste, und befürchtete, von einer neuerlichen Sicherheitsmaßnahme verbrannt zu werden.
    Als ich ein Lid hob, erfasste ich ein Büro. Zahlreiche Papiere, in ihrer Unordentlichkeit jedoch säuberlich gestapelt, bedeckten den Schreibtisch, ein wuchtiges Gerät mit einem Phonographen ruhte auf einer Halterung und war mit der Wand dahinter verdrahtet. Ich hob vorsichtig eine Art Trichter an mein Ohr und horchte. Nichts drang durch die Kabel und die eigenartigen Geräte zu mir durch, ich legte dennoch einen Finger auf die Lippen, bedeutete Ynge, still zu sein. Obgleich für gewöhnlich nur ich sie hören konnte, wusste ich doch nicht, ob eine solche Apparatur nicht vielleicht ihre Stimme auffangen konnte.
    Ich blickte mich um. Irgendeinen Zweck musste meine Reise in die Unterwelt erfüllen, doch mein Gehirn schepperte in meinem Schädel und erholte sich nur langsam von dem Stromschlag.
    Ich suchte nach Beweisen für den Mord an Æmelie. Beweisen, warum ich ihn an der Flanke des Eisberges zerschmettern sollte.
    Danach würde ich freudig sterben oder den Rest meines Lebens in einer Anstalt verbringen. Aber jetzt noch nicht.
    Ich durchwühlte die Papiere, grapschte nach einem Brief an den Kanzler, Herzog von Pappelheim, knüllte ihn zusammen und stopfte ihn zu Ynge in meine Manteltasche. Ich suchte nach Plänen, nach Beschreibungen der Gasbatterie, der Erlenhofenzelle, nach Details, die den Professor entlarven würden. Stattdessen fiel mir in einer hastig geöffneten Schublade etwas anderes in die Hände, die es sogleich zitternd fallenließen.
    Ich keuchte. „Heb es auf! Schnell!“, wisperte Ynge, und ich bückte

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