Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
weiter von der tobenden Meute fort. Der getroffene Mann sackte auf den Felsen zusammen, seine Hände griffen ins Leere, und er sank hinab ins Meer, streckte hilfesuchend die Hand nach mir aus.
Ich spürte jedoch in mir ein ganz und gar nicht gleichgültiges Gefühl des Abwägens zwischen meinem Leben und dem seinen, und so rettete ich mich unter den Steg, kletterte schlotternd vorwärts und gelangte zum Fuß des Lastenaufzugs, an dem die Seilwinde die Container, die am Steg ausgeladen werden konnten, wieder nach oben beförderte. Ich zog mich in den viel zu langsam aufwärts wandernden Metallbehälter, wurde vom Steg aus mit allerlei Dingen beworfen und mit unfreundlichen Worten bedacht. Es überraschte mich wenig, dass es unten einen Hebel gab, mit dem man den Aufzug stoppen konnte, und der unter Triumphgebrüll betätigt wurde.
Ich fluchte nur wenig feiner zurück. Sogar in der Mundart der Friesen konnte ich eine Beleidigung an die tumben Köpfe werfen.
Meine Holzstange zurücklassend, hangelte ich nach dem nächsten Container, schaffte es, die vorspringende Kante des an einer Achse schwankenden Dings zu ergreifen und baumelte nun erbärmlich an seiner Unterseite.
Meine Armmuskeln, durchfroren und ohnehin schwächlich, wie sie waren, revoltierten und weigerten sich, mich in einer athletischen Meisterleistung hinauf und gar in den nächsten Behälter hinein zu befördern. Auf diese Weise konnte ich unmöglich die Steilwand bewältigen. Ein schmaler junger Mann mit Rattengesicht und vorspringenden Augen erklomm nun bereits die Stahlseile, Achsen und Gewinde des Aufzugs. Meine Kraft verließ mich, mit einem Aufschrei fiel ich zurück in den eisernen Korb, der sich ächzend zur Seite neigte, bis ich ihn mit zitternden Gliedmaßen ins Gleichgewicht brachte. Als sich bereits die Hand des Rattenmanns über die Kante des Containers in mein Sichtfeld schob, ging plötzlich ein Ruck durch den Aufzug, mit einem Kreischen ließ der Rattenmann los. Ein Stöhnen erscholl aus der erwartungsvollen proletarischen Menge.
Im Aufzug zusammengekauert, die fallengelassene Stange erneut packend, hörte ich den Aufprall des Rattenmanns.
Die Fahrt schien Ewigkeiten zu dauern. Das schwarze Luftschiff war längsseits gegangen, um am Ankermast anzulegen. Erneut hielt der Aufzug schwankend inne, doch von oben erscholl eine schrille Glocke, und eine Stimme brüllte befehlsgewohnt hinab: „Lasst ihn hoch. Wir kümmern uns um ihn.“
„Er ist ein Mörder! Der Mörder von Æstas End!“, trotzten die Arbeiter von unten.
Ich wunderte mich über den Namen, denn wenn ich schon ein Mörder war, dann doch wohl der Mörder vom norwegischen Hafen. Doch meine Reue wurde erneut von der Sorge um mein eigenes Wohl im Zaum gehalten. Ich blickte hinab, als sich der Aufzug wieder in Bewegung setzte. Die Arbeiter unten waren nun klein wie Stecknadeln, doch die Steilwand zog sich noch viele Meter über mir in die Höhe, und ich konnte nicht erkennen, was dort oben geschah.
Ich packte Ynge und sah ihr fest in die traurigen Augen. „Ynge, du musst mir jetzt helfen! Vergiss das mit der Gräfin – sag mir nur, ob ich springen soll oder nicht. Soll ich meinem Leben hier ein Ende bereiten, bevor der Herzog und der Professor mich in die Finger bekommen?“ Die Höhe und der Gedanke an Sturz und Tod ließen mir Übelkeit in den Rachen steigen. Ich atmete tief durch.
„Du hättest es verdient zu springen“, entrang sich Æmelies Stimme Ynges Mund. „Aber ich kann mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es hier zu Ende ist.“
„Ich auch nicht.“ Dankbar drückte ich ihr einen Kuss auf den Scheitel.
Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis mein metallenes Gefängnis an der Steilkante zum Halten gebracht wurde. Meinem Auge wurde nicht gestattet, über das freigeschmolzene Ödland zu schweifen, über die schmutzigen Kanten der Gletscher ringsum. Ich wurde sofort von fünf Männern in Gewahrsam genommen, zwei davon waren ganz eindeutig Soldaten, die schwarze Uniform wies sie als herzögliche Haustruppe aus.
Waren sie bereits dem Luftschiff entstiegen? Oder waren sie immer hier stationiert, um die Interessen des Æstaner Kanzlers zu sichern? Nun jedenfalls zerrten sie mich aus dem Container und drehten mir die Arme auf den Rücken.
„Bitte unterlassen Sie das. Das ist doch lächerlich, wohin sollte ich fliehen?“
Ein schmerbäuchiger Arbeiter mit fleckiger, nach ranzigem Schafsfell riechender Kleidung postierte sich hinter mir und lachte tief und
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