Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
Vom Netzwerk:
Schandtaten gegen Æsta etwas waren, wofür einen vermutlich der Herrgott persönlich heilig sprach.
    Anerkennend strich Tomkes Zeigefinger über die Konstruktion der Flügel. Ich erinnerte mich an meinen Traum. Waren wir darin nicht trotzdem abgestürzt?
    „Ich bin Künstler, kein Konstrukteur.“
    Sie sah mich ernst an. „Jeder kann sein, was er will. Ich habe schon viele Leben geführt, und jedes hat mir gut gestanden.“
    Ich erinnerte mich an das Mädchen in dem schwarzen Rock, an meine Vorstellung, dass sie darunter kauerte, um sich wie ein Riese zu erheben, sobald die Zeit reif war.
    „Magda hat dir nicht gestanden.“
    „Doch!“, lachte sie, aber ich beharrte auf einem Kopfschütteln. „Denk darüber nach. Du hast ja Zeit.“
    „Das behaupten zumindest alle. Ich sehe das bekanntlich anders.“

    Die Tage verstrichen. Die Friesen feierten irgendwann eines ihrer heidnischen Feste, behauptend, dass Tag und Nacht nun gleich lang waren, obgleich ich noch nirgendwo ein Chronometer oder einen anderen Zeitmesser gesehen hatte. Sie beteten zu ihren Göttern um den Frühling, um das Schmelzen des Schnees – wie sie es vermutlich schon seit Jahrhunderten vergeblich taten. Zu dieser Zeit, kurz vor Ostern, hatten in früheren Zeiten die Bäume bereits in Blüte gestanden. Sicherlich waren bunte Insekten um die Blüten geschwirrt, die es heute nurmehr an den Gestaden des Mittelmeeres gab. Ich seufzte – warum waren wir nicht im Sommer in Venedig gewesen?
    Zum Fest verließen einige junge Friesen das Dorf und überquerten mit ihren langen Stangen – diese waren das, was Tomke Kletsie genannt hatte – die Gräben und bröckelnden Schrunden der Landbrücke nach Hallem und schafften dann, unter den Anfeuerungsrufen der Dorfbewohner auf der Klippe, jemanden herüber, der zu alt war zum Springen. Gefolgt wurden sie von mehreren Bewohnern der Dünenhalbinsel, die nun auch zum Fest herbeieilten. Es war abenteuerlich, wie die Jungen den Greis über die am tosenden Meerwasser zerbrechende Landzunge beförderten – einige sprangen voraus, stemmten sich mit Seilen in den Untergrund, sodann wurde der alte Mensch auf einem Sitz über die größten Spalten transportiert, wurde am Seil herangezogen, hochgehoben und weitergetragen. Es dauerte sicherlich eine Stunde, bis sie wieder am Strand der Hauptinsel ankamen. Sie johlten und alberten, als sich einer von ihnen die Greisin – denn es war eine Frau mit wenigen dünnen weißen Haarsträhnen – auf den Rücken hievte und mit ihr den verharschten Weg zum Dorf hinauf lief.
    „Birke es hiir!“, schrie er außer Atem und ließ die Alte behutsam herab, und viel Krach und Geschrei wurde laut – Kinder traten vor und berührten den Saum des fleckigen Kleides, das die Alte trug. Eines ihrer Augen war trüb und altersblind, doch das andere zog über uns hinweg wie ein wartender Greifvogel und blieb kurz an mir hängen. Die Greisin war dürr, zerbrechlich, kaum mehr in der Lage zu sprechen, doch sie nickte zahnlos und lächelte dem Redjeven zu. Ihren Hals schmückten viele silberne und goldene Ketten; Zeichen und die Zähne von Meeresungetümen hingen daran. Ihre Ohren waren grässlich in die Länge gezogen von schweren Ohrringen, an denen Vogelschädel und Perlen baumelten.
    „Lass mich raten“, flüsterte ich Ðomas zu, „sie ist eure Priesterin.“
    „Meine sicher nicht, Gott bewahre! Aber du hast natürlich recht, das ist eine waschechte heidnische Hexe, und sie suchen sie auf, wenn sie sich einen Segen erwünschen.“ Er schauderte. „Ein grässliches Weib. Nur Weiber können wohl so alt werden, und dabei werden sie so gotterbärmlich hässlich.“
    „Psst!“, fuhr ich ihn an, obgleich ich lachen musste.
    „Das Weib ist halbtaub, halbstumm und halbblind“, grinste Ðomas, doch tatsächlich verharrte der glupschäugige Blick der Greisin kurz auf ihm.
    „Und wenn schon – dann kann sie vielleicht auch halb Gedanken lesen!“, flüsterte ich. Die knotigen Hände der Frau streichelten über Kinderköpfe, ertasteten ausgestreckte Hände, und dabei verzog sich ihr runzliger Mund zu einem seligen Lächeln.
    Nun erreichten auch die anderen Jungen und die Bewohner von Hallem den Dorfplatz. Sie waren außer Atem, ihre Wangen glühten. Tomke war unter ihnen, als eine von drei Frauen, mit ihrem Sprungspeer und ihrem Faltenrock. Eine weitere Frau, das Hautbild eines Seevogels prangte auf ihrer hoch rasierten Stirn, eilte zur Greisin hin und nahm ihre Hand.
    „Das ist Witteke,

Weitere Kostenlose Bücher